TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Such dir einfach eine Villa aus
Vor Kurzem noch wurden in der City of London Banker und Manager verprügelt, nun besetzen Aussteiger und Künstler in direkter Nachbarschaft des größten Finanzzentrums der Welt teuerste leer stehende Immobilien. Doch was so siegreich klingt, ist eine beinah komische Geschichte.
Der Neoliberalismus der letzten 30 Jahre hat auch einen veränderten politischen und sozialen Alltag des Städtischen bewirkt. Die Privatisierung öffentlicher Räume und die Installation von Überwachungssystemen schlossen kontinuierlich immer mehr gesellschaftliche Gruppen von der Teilhabe aus, die Maxime schien die Verwandlung der Städte in repräsentative Freizeitparks für saubere Wissensarbeiter in sonnenbeschienenen Kaffeehäusern zu sein. Künstlern fiel bei der vielfältigen Gentrifizierung bestimmter Stadtteile, die zu veränderten Bevölkerungsstrukturen führte, häufig unfreiwillig eine Vorreiterrolle zu.
Seit den 90er-Jahren nahmen andererseits auch die Aktionen gegen diese Gentrifizierung zu, Kampagnen wie „Reclaim the Streets“ oder „Right to the City“ zeugen davon. Nicht selten waren es karnevaleske Interventionen – in Londons City und anderswo –, die spielerisch auf die Rückeroberung der Straße setzten. Der schöne Reader „Spektakel, Lustprinzip oder das Karnevaleske?“ berichtet von kulturellen und politischen Praxen in diesem Zusammenhang (bbooks, 2008).
Einen wunderbaren Artikel über den Link zwischen den Neuordnungen des Städtischen und kapitalistischen Krisen hat der britische Sozialgeograf David Harvey unter dem Titel „The Right to the City“ in einer der letzten Ausgaben des New Left Review (Nr. 53) verfasst. Für London erinnert er daran, dass mit Margaret Thatchers Privatisierung des britischen sozialen Wohnungsbaus ein Prozess in Gang gesetzt wurde, an dessen Ende eine Preisstruktur für das metropolitane London stand, die Vertreibungen von Geringerverdienenden und sogar des Mittelstands aus dem urbanen Zentrum zur Folge hatte.
Und nun? Erobern die Londoner Künstler nun tatsächlich ein Stück Stadt zurück, wenn sie in den teuersten Gegenden Villen besetzen, deren krisenbedingter Leerstand von einer neuen Zeit kündet? Nein, denn sie sind nicht bloß geduldet, sie erhalten sogar monetäre staatliche Unterstützung für ihr buntes Lückenbüßertum. Das ist moralisch keineswegs verwerflich, es ist lediglich skurril. Und so etwas wie eine Hypergentrifizierung von längst gentrifizierten Stadtgebieten.
■ Die Autorin ist Kulturredakteurin der taz. Foto: privat
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