in fussballland
: Die Lesefrucht

CHRISTOPH BIERMANN über einen literarischen Abendmit drei Fußballtrainern

Christoph Biermann (44) liebt Fußball und schreibt darüber

Ein kleiner Etikettenschwindel war es schon, dass die Veranstaltung bei einem Literaturfestival Unterschlupf gefunden hatte. Aber einerseits sind die Macher der lit.Cologne passionierte Fußballfans, denen man eine solche Sünde verzeihen muss. Andererseits fühlte sich kein Besucher getäuscht, das merkte man sofort. „Das Spiel lesen“ hieß der Titel des Abends, für den nicht vorgesehen war, dass Texte über Fußball im Mittelpunkt stehen würden. Dem Publikum sollte vielmehr eine Form der Lesehilfe für den Besuch im Stadion gegeben werden.

Dafür standen mit Joachim Löw, dem Assistenztrainer im Nationalteam, Ralf Rangnick von Schalke 04, und Uwe Rapolder, der damals noch bei Arminia Bielefeld unter Vertrag stand, passionierte Fachleute auf der Bühne. Bemerkenswert übrigens, dass keiner von ihnen bei der Verabredung der Veranstaltung nach einem Honorar gefragt hatte. Sie reisten für den Lohn eines Bücherpakets nach Köln. Löw machte sich dazu sogar aus Freiburg auf den Weg, Rapolder opferte seinen freien Tag und Rangnick verschob das Training, um pünktlich da sein zu können. Alle drei hatten auf meine Bitte hin sogar noch Videobeispiele mitgebracht, frisch auf DVD gebrannte Szenen aus Spielen ihrer Teams, die systematische Überlegungen und taktische Muster erläutern helfen sollten.

Offensichtlich machte ihnen die Aussicht Spaß, dem Publikum eine Seite ihrer Arbeit vorzuführen, nach der sonst weniger gefragt wird. Jedenfalls kam die Sache auf der Bühne zügig in Gang, als die drei um einen Taktiktisch herumstanden. Löw erklärte Grundformationen von gestern und heute. Rangnick offenbarte sein trauriges Leben als Kettenhund im defensiven Mittelfeld zu Zeiten der Manndeckung, als er an manchem Wochenende kaum am Ball war und doch gelobt wurde. Rapolder schließlich ließ die Steine übers Spielfeld sausen, als er die Kunst des Pressings erklärte, und fast hätte es dafür Beifall auf offener Szene gegeben. Die Zuschauer konnten die Züge auf einer Leinwand nachvollziehen, und dort schauten wir uns auch die mitgebrachten Videobeispiele an.

Erstaunlich, wie gut die drei zusammenpassten. Löw war mit seiner nüchternen Sachlichkeit der Liebling der jüngeren Zuschauer, für die Ironie ein zu kompliziertes Konzept ist. Rangnick nahm die Besucher durch sein sprühendes Engagement ein, während Rapolder fast auf Pointe sprach. Bei aller Unterschiedlichkeit konnte man ahnen, warum gerade sie hochrangige Jobs in ihrer Branche haben. Zwei Stunden lang blieben alle im Saal gebannt sitzen, warum sollte es Spielern anders gehen?

Nachdem das Trio den begeisterten Applaus entgegengenommen hatte, wurde es nicht anders, denn bei Tisch diskutierten sie weiter engagiert über Fußball. „Der Ballack ist ein Sechser“, war einer der schönen Sätze, die fielen, als die Trainer für einen Moment fast hitzig debattierten, wie und wo Deutschlands bester Spieler optimal einzusetzen wäre. Man soll nicht glauben, dass es unter Trainern anders zugeht als am Tresen.

Bald gesellte sich Kölns Manager Andreas Rettig dazu und musste sich die Spötteleien gefallen lassen, ob er gekommen sei, um dem Schalker Rangnick seinen Stürmerstar Lukas Podolski abzuliefern oder um Rapolder als neuen Coach unter Vertrag zu nehmen. Weiter gingen die Gespräche und nur für kurze Momente ließen sich die Diskutanten ablenken, wenn sie Schriftsteller oder Schauspieler erkannten, die nach und nach von den anderen Lesungen herübergekommen waren. Zwischendurch klingelten die Handys, denn Fußballgeschäfte kennen keinen Dienstschluss. Doch kurz wurden die Gespräche gehalten in dieser fremden Atmosphäre, die alle zu beleben schien wie der Ausflug in ein anderes Leben.

Zwei Monate später unterschrieb Uwe Rapolder als Trainer beim 1. FC Köln. Es war zweifellos ein langer Weg vom Kölner Bücherfest zur Unterschrift des Vertrages gewesen, aber zumindest hatte er bei der Literatur (oder dem Etikettenschwindel mit ihr) seinen Anfang genommen.