in der taz vor 16 Jahren
: 100 Tage Bush-Gebell

Weder die berühmte Bilanz nach 100 Tagen im Amt noch die mit Spannung erwartete erste grundsätzliche außenpolitische Rede Bushs geben viel her. Während die amerikanische Öffentlichkeit im Laufe des letzten Jahres mehrheitlich Sympathien für Michail Gorbatschow und seine Reformpolitik entwickelte, brütet ihre Führung immer noch über einer Konzeption von Außenpolitik, die den Rhythmus der Geschichte um jeden Preis diktieren will. Bevor man sich vom vertrauten Kalten Krieg verabschiedet, will man „Gorbatschow vom Fenster blasen“. Dessen Vorwurf, der Westen denke zu wenig konstruktiv über die eigene, „andere“ Zukunft, trifft ins Schwarze. Und das tut weh. Jeden Tag ist das Gebell aus Washington zu hören.

Dem Tun Gorbatschows antwortet ein Macho-Ton. In das konzeptionelle Vakuum der USA fließt rhetorische Gewalt. Wer genau auf die Worte achtet, die jeden Tag durch die Medien gejagt werden, dem stehen die Haare zu Berg: Hier spricht fundamentalistisches Sendungsbewußtsein. Man werde den Sowjets dann eine gleichberechtigte Rolle bei der Lösung von Regionalkonflikten anbieten, „wenn die Sowjets ernstzunehmende Partner werden wollen, die uns nicht stören“. Reagans Reich des Bösen wird von der Bush-Administration zum Reich der Idioten und Schwätzer umfunktioniert.

Allein – je mehr die Bush-Administration poltert, desto mehr Sympathien wird Gorbatschow weltweit gewinnen. Die Zukunft gehört ihm. Bush will den Sowjets nur den „modernisierten“ Status quo servieren, die „Rückkehr in die Weltordnung“. Was bleibt Gorbatschow da anderes als Entrüstung!

ANDREA SEIBEL, taz v. 19. 5. 1989)