Das Internationale proben

NEUE KAPITALE KRITIK (5): Die großen Konzerne agieren global. Darauf hat noch keine nationale Regierung eine Antwort gefunden, auch die rot-grüne nicht

Das wichtigste Projekt zur Regulierung der internationalen Ökonomie ist zum Erliegen gekommen

Aus der Beschwerde von SPD-Chef Franz Müntefering über die ausländischen Heuschrecken-Kapitalisten, die über deutsche Unternehmen herfallen, spricht eine tiefe Erschütterung. Als wenn Müntefering sagen wollte: „Das darf es doch in einer zivilisierten Welt nicht mehr geben.“ Doch Erschütterung ersetzt die Analyse nicht. Und an der fehlt es. Die SPD und auch die meisten Grünen haben keine zeitgemäße Vorstellung, wie sie das Verhältnis von demokratischem Gemeinwesen und transnationalen Konzernen gestalten wollen.

Seit dem Beginn der neuen Globalisierung in den 1980er-Jahren haben sich die großen, weltweit aktiven Unternehmen aus dem Einflussgebiet ihrer Heimatstaaten weitgehend verabschiedet und betreiben ihre Geschäfte in einem globalen, oft nahezu rechtsfreien Raum. Nationales Recht und transnationale Wirtschaftssphäre klaffen auseinander, die Bindung wirtschaftlicher Prozesse durch demokratisch legitimierte Gesetze hat rapide abgenommen. Gegen diese Abwesenheit von Recht hat auch Rot-Grün bislang kein Mittel gefunden.

Betrachtet man die Politik der Bundesregierung seit 1998, so ist sie einerseits geprägt von dem Bestreben, die großen Zukunftsprobleme in den Griff zu bekommen: die Alterung der Gesellschaft, die Instabilität der Sozialsysteme und die Herausforderung der Ökologie. In grüner Diktion ordnet sich alles unter den Begriff der Nachhaltigkeit, bei der SPD heißt es eher „Zukunftsfähigkeit“. Diese großen Fragen haben offenbar verhindert, dass die alte linke SPD und die neuen linksliberalen Grünen zu einem Auftreten gegenüber den mächtigen Wirtschaftsinteressen finden, das über eine grundsätzlich defensive Haltung und die Akzeptanz des Machtverlusts der Politik hinausgeht.

Teils fördert Rot-Grün den Rückzug der Politik gegenüber der Wirtschaft, teils duldet man ihn. War die erste rot-grüne Legislaturperiode durch das Phänomen der Konsenssuche zwischen Bundeskanzler, Konzernvorständen und Verbandsfunktionären gekennzeichnet, so steht die zweite Regierungsperiode im Zeichen der Aufgabe finanzieller Gestaltungsmöglichkeit des Staates. Das Dogma der Steuersenkung als Versuch, den ökonomisch labilen Nationalstaat im internationalen Standortwettbewerb konkurrenzfähig zu halten, dominiert alles andere. Beiden Phasen ist gemein, dass sich die Manager und Eigentümer der transnationalen Konzerne glücklich schätzen dürfen, zunehmend aus staatlichen Zwängen entlassen zu werden.

Die Bundesregierung reagiert auf die Globalisierung, indem sie sich dem Druck der Ökonomie beugt. Wenn Kanzler und Minister ins Ausland reisen, verstehen sie sich oft als die obersten Verkaufsvertreter der Deutschland AG. Die Regierungskontakte drehen sich um die Ansiedlung von Firmenniederlassungen, günstige Kooperationen deutscher Global Player mit ausländischen Unternehmen, Aufträge und Exportgeschäfte. Wirtschaftspolitik aber sollte mehr sein als Marketing. Hinzu kommen muss eine weltwirtschaftliche Vision. Diese bestünde in dem Versuch, der Korrosion nationalen Rechts ein neu formuliertes, internationales Wirtschaftsrecht entgegenzusetzen.

Im Nationalstaat zahlen Bürger und Unternehmen nur deshalb Steuern, weil es die funktionierende Fiskalverwaltung mit ihren Finanzämtern gibt. Im internationalen Raum dagegen herrscht das steuerrechtliche Vakuum – transnationale Unternehmen entziehen sich dem Zugriff der nationalen Steuerverwaltung. Freiheit der Unternehmen und Armut der Staaten sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Versuche der Bundesregierung, das zu ändern, kommen zu spät und bleiben bruchstückhaft. Dass die neuen osteuropäischen EU-Mitglieder dem alten Europa das Leben schwer machen mit ihren niedrigen Steuersätzen, begann Rot-Grün erst zu interessieren, als der Beitritt kurz bevorstand. Da war aber schon nichts mehr zu retten. Nun locken Vorzugsbedingungen die Firmen nach Osteuropa. Zwar setzt sich Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) bei jeder Gelegenheit für die Vereinheitlichung der Steuersätze in Europa ein, doch die Realisierung dieses Ziels dürfte noch lange Jahre in Anspruch nehmen.

Weitgehend zum Erliegen gekommen ist das wahrscheinlich wichtigste Projekt zur Regulierung der internationalen Ökonomie. Wie andere Staaten unternimmt auch Deutschland keine großen Anstrengungen mehr, um die Steueroasen auf den britischen Kanalinseln, die unter Hoheit der englischen Krone stehenden Cayman-Inseln in der Karibik und andere Firmenparadiese zu Wohlverhalten zu bewegen. Daher sind die Ansätze der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Steueroasen trockenzulegen, gescheitert. Von dem einstigen Bestreben, wenigstens minimale Abgaben durchsetzen, ist nur die Forderung nach gegenseitiger Information übrig geblieben.

Doch ein transnationaler Rahmen für Unternehmen müsste über die Steuerproblematik hinausgehen. Er sollte sich auch auf die Sozial-, Arbeits- und Menschenrechte erstrecken. Einen entsprechenden Vorschlag hat gerade die UN-Menschenrechtskommission gemacht: Transnationale Unternehmen sollen verpflichtet werden, in allen ihren Niederlassungen beispielsweise Gewerkschaften zuzulassen und die Beschäftigten so zu bezahlen, dass sie „einen angemessenen Lebensstandard“ erreichen. Das deutsche Außenministerium – unter der Leitung des Grünen Joschka Fischer – freilich steht der Initiative der Menschenrechtskommission indifferent bis ablehnend gegenüber. Stattdessen plädiert man dort für die Freiwilligkeit der Unternehmen und lehnt bindende internationale Regelungen ab.

Die Bundesregierung reagiert auf die Globalisierung, indem sie sich dem Druck der Ökonomie beugt

Ein globales Wirtschaftsrecht, das Konzerne zivilisieren könnte, wird so nicht entstehen. Gleichwohl wäre dies dringend notwendig. Denn Unternehmen können sich heute mannigfaltige Vorteile verschaffen, indem sie in Ländern mit niedrigen Sozial- und Rechtsstandards produzieren. So beklagen Gewerkschafter, dass der Handelskonzern Wal-Mart Textilien im südafrikanischen Kleinstaat Lesotho herstellen ließ, wobei die Beschäftigten – selbst nach dortigen Maßstäben – Hungerlöhne erhalten hätten. Weil Wal-Mart diese billigen T-Shirts und Hosen verkaufte, wurde teurere, aber unter Einhaltung von Sozialstandards produzierte Kleidung ausgelistet. Dagegen lässt sich kaum etwas unternehmen.

Einen weltweiten Rechtsrahmen für die Wirtschaft zu entwerfen dauert gewiss lange. Aber irgendwann muss damit begonnen werden. Zwar gehören die Konkurrenz billiger Arbeitskräfte und Firmen aus den europäischen Nachbarstaaten sowie der Aufkauf von Unternehmen durch globale Investoren zu den normalen Begleiterscheinungen des real existierenden Kapitalismus. Einige Auswüchse aber könnten Nationalregierungen wie die rot-grüne durchaus bekämpfen – wenn sie denn ihre Vertreter in den internationalen Organisationen damit beauftragten. HANNES KOCH