Die Kulturverweser

Die Zeiten sind schlecht: Statt Streichkonzerte zu fördern, veranstalten die Kultursenatoren und -minister selber welche. Der Undank ist ihnen gewiss. Eine Bestandsaufnahme im Norden der Republik

Vielleicht verstehen wir das alles falsch. Vielleicht brauchen wir gar keine Kultur, und staatlich geförderte schon gar nicht. Vielleicht ist irgendwo da droben schon alles beschlossen. Womöglich längst ausgemacht, dass die letzten Dinosaurier der Politik – Kultursenatoren genannt – irgendwann ihren Schleudersitz-Jobs erliegen werden. Und mutmaßlich wissen sie auch schon bange darum und bereiten sich bereits sanft darauf vor. Denn als Dekoration mögen sie bestenfalls noch taugen, als Narren ihren eigenen Abgesang komponierend: Herzige Intrigenspielchen in Berlin, totale Vakanzen in Köln und Bremen sowie eine immer rastlosere Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck, die sich im Schirmherrschafts-, Eröffnungsreden- und Präsentationsmarathon verliert.

Denn derzeit scheint das, was sich mal Kultur-Lobbying nannte, zu einem gigantischen Marketing-Experiment zu verkommen – auch bei der Hamburger Senatorin, die sich zunächst so wohltuend von ihrer unbeholfenen Vorgängerin Dana Horáková zu unterscheiden schien. Ein konservativer, auf Qualität zielender Kulturbegriff ist der seit einem Jahr amtierenden von Welck eigen – doch allmählich offenbart sich ihre wahre Rolle im männerdominierten CDU-Senat: das einer weitgehend machtlosen Politikerin, die sich hinter „Fairness“-Argumente zurückzieht, wenn es um‘s Sparen geht, die Einsicht angesichts der Tatsache mimt, dass „alle Ressorts sparen müssen“. Und die allmählich Spaß an der Macht gewinnt, die ihr aus diesem Totschlag-Argument erwächst.

Brav-weiblich-einsichtig wirken solch hehre Gerechtigkeits-Ideale; geradezu leichtfertig erweckt sie den Eindruck, dass man von jenen zwei Prozent, die die Kultur im Hamburger Gesamtetat ausmacht, ruhig weiteres wegnehmen könne. Und die kann man dann getrost jenen Institutionen entziehen, die keinerlei „Glanz“ bieten: Die Hamburger Öffentlichen Bücherhallen (HÖB) mussten überproportional bluten bei der jüngsten Sparrunde – eine Institution, die per SPD-Senatsbeschluss 1973 hamburgweit ausgebaut wurde.

Arg denkend, wer hier die erneute Begleichung alter ideologischer Rechnungen wittert, hatte doch auch Vorgängerin Horáková alles, was latent linksalternativ klang, misstrauisch beäugt. Doch Horáková kam von der Bild, während sich die Genese von Welcks ganz anders präsentiert: Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder war die Parteilose, die unter dem berüchtigt-rechten Innensenator Ronald Schill nicht hatte kandidieren wollen, unter Ole von Beust aber sehr wohl. Im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde hatte sie in den Achtzigern die Schau „Männerbünde“ organisiert. Und sie scheint bei dieser Gelegenheit einiges gelernt zu haben über Männer-Nutznießerschaften und informelle Netzwerke, die auch sie zu pflegen sucht – und an denen sie stetig scheitert: Ausgebremst wurde sie ausgerechnet von der eigenen Fraktion, die der Experimentierbühne Kampnagel handstreichartig zwei Prozent des Etats entzog; von Welck selbst, so wurde gestreut, habe dies nicht gutgeheißen. Doch sie hat die Entscheidung mitgetragen, als sei es ihre eigene. Oder war es ihre eigene? Ist von Welck raffinierter als alle Männer zusammen, spannt sie sogar vermeintliche Widersacher für politische Steuerung ein?

Man weiß es nicht, denn für das Machtlosigkeits-Argument spricht vieles: In die Handlungsunfähigkeit hat die Männerfreundschaft von Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) und dem Ex-Springer-Vorstandschef Peter Tamm die Senatorin manövriert; Letzterer wird Hamburg das umstrittenene „Internationale Schifffahrts- und Meeresmuseum Peter Tamm“ bescheren, subventioniert mit bislang 30 Millionen Euro. Auch dies trägt von Welck fröhlich mit und redet sich die eigene Machtlosigkeit schön: „Herrn Tamms Bereitschaft, Rat anzunehmen, ist enorm gestiegen“, erklärte sie Ende vorigen Jahres kleinlaut.

Und die Presse? Soll gefälligst „an den Erfolg des Museums glauben“, ist da zu hören. „Ideologisch“ seien Fragen nach Durchfinanzierung und inhaltlich differenzierter Gestaltung des Museums. „Die Sammlung Tamm ist von guter Qualität“, beteuert von Welck unterdessen; wie weit sie das aber wirklich beurteilen kann?

Böse Fragen, angesichts derer man sich lieber auf die Förderung Kinderkultur zurückzieht. Die Experimentierbühne im Schauspielhaus-Malersaal etwa soll künftig einer Kinderbühne weichen: Dem Nachwuchs mit allerlei Harmlosigkeiten zu imponieren ist leichter, als erwachsenen Senatskollegen Paroli zu bieten. Zur Modellregion für Kinder- und Jugendkultur solle Hamburg werden, sagt die immer eilige Senatorin, die gern mal spontan einen Termin vor- oder an einen anderen Ort verlegt.

Um Sponsoren allerdings – von Welck adelte schon die Vorab-Präsentation der Lesetage der Hamburger Electricitäts-Werke (HEW) durch ihre Gegenwart – macht sie keinen Bogen. Trotzdem fehlen ihr da noch etliche – etwa für die Finanzierung des Lesefestes „Seiteneinsteiger“. Ob man das braucht, steht dahin, gibt es doch schon die Frühleseförderung der Bücherhallen. Aber die kosten ja nur Geld, wohingegen die HEW derlei aus purer Selbstlosigkeit organisiert.

„Viel Kultur“ hat von Welck eben gern – vor allem, wenn sie sie nicht bezahlen muss, sieht man von der mit jährlich 40.000 Euro behördenfinanzierten Kinderbeilage des Hamburger Abendblatts ab.

Überhaupt scheint es in der Kulturbehörde viele Angstmomente zu geben – etwa dann, wenn sie auf den Schreibtischen liegen, die Zahlenkolonnen mit den Zuwendungen für die Kulturinstitutionen. Rein schwindlig kann einem da werden, wenn man sieht, was die so verschlingen! „Es ist klar, das es nie reicht“ hatte von Welck vor Jahresfrist zwar noch einsichtsvoll gesagt. Aber inzwischen ist sie fast ein bisschen böse darüber, dass die Museen mit ihren seit zehn Jahren konstanten Subventionen nicht auskommen. Wer genug jammert, hat allerdings durchaus Chancen – wie Wilhelm Hornbostel, Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, der jüngst 300.000 Euro mehr errang. Dabei ist dieses Museum mit seinen vielen Mäzenen nicht dasjenige, das am ärgsten darbt. Aber das schwarzpädagogische Prinzip der Belohnung für Einwerbe-Bemühungen der Institution selbst hatte schon Horáková auf der Agenda. Und wer bei den traditionell konservativen Großkopferten nichts einwerben kann, weil er Experimentelles zeigt, der geht eben leer aus. Kann der Staat ja auch nichts für, wenn die sich so ungeschickt anstellen. Und was niemand sponsorn will, das wird ja offensichtlich auch gar nicht gebraucht. Kultursenatoren dann irgendwann auch nicht mehr.

Petra Schellen