„Ich finde Muhammad Ali fantastisch“

Die Kreuzbergerin Zeinab Moussa redet. Mit Witz. Mit Ironie. Und ohne Unterlass. Als Kind erklärt sie Deutschen das arabische Leben. Als junge Frau übt sie sich in der Sprache der Unternehmerin. Die Geschichte einer Nachbarin, die sich durchboxt

VON WALTRAUD SCHWAB

Als Zeinab entdeckt, dass sie sprechen kann, dass sie sagen kann, was sie bewegt, dass sie erzählen kann, was sie erlebt, beginnt sie, sich selber zu mögen. Seither trägt sie ihre Sprache wie eine Kostbarkeit mit sich herum. „Quatschen kann ich. Andere sind künstlerisch, ich kann halt reden. Das ist meine Begabung. Außerdem hab ich mich zum Morgenmenschen entwickelt. Ich leg mich schlafen, sobald ich nach Hause komme. Ich guck auch kein Fernsehen. Außer Nachrichten, da kann ich mich dann aufregen.“

Zeinab spricht in Assoziationsketten. Ein Wort gibt das andere. Das ist das Geheimnis einer richtigen Berlinerin. Einer, die reden kann wie ein Wasserfall ohne langweilig zu werden. Schon mit ihren 23 Jahren ist Zeinab darin eine große Meisterin, denn kommt sie einmal in Fahrt, macht sie’s mit Witz, Ironie und ohne Unterlass. Auch mit Dankbarkeit. Sie ist dankbar, dass ihre Mutter sie in den Kindergarten schickte und ihr die deutsche Sprache dabei in den Schoß fiel wie ein Geschenk.

Zeinab ist die zweite Tochter im Haus der El Ahmads, die erste, die in Berlin zur Welt kommt. In der Eisenbahnstraße wohnen sie. Viel gibt es da nicht zu sehen. Häuser, aber keine Bäume, die meisten Wohnungen sind sogar ohne Balkon. Keine Blumen zieren die Straße. Nur die backsteinerne Markthalle, längst ohne Glanz, unterbricht die Eintönigkeit. Es ist eine triste Straße.

Auch der dunkle Hinterhof, in der die Wohnung der El Ahmads liegt, ist karg. Manchmal allerdings setzt sich eine Blaumeise an das Küchenfenster der jungen Familie im zweiten Stock. Für Sekunden wird es in der Küche ganz still. Niemand bewegt sich, niemand spricht, um den singenden Vogel nicht zu stören.

Hier in der Wohnung fängt Zeinabs Start ins Leben hart an. Muna, selbst erst zwei Jahre alt, ist sauer. Sie schleppt den Mülleimer heran und befiehlt ihrer Mutter, das Neugeborene hineinzuwerfen. Darüber lacht ihre Mutter heute noch. Damals aber war sie selbst erst ein Teenager. Nach und nach bringt sie auch das dritte und vierte Mädchen zur Welt, bevor Mohammed, der erste Sohn, geboren wird. Was für eine Freude. „Yuyuyuyuyu“, hallt es durch den Hof, wie eine alte orientalische Tradition es will.

„Meine Tanten machen ein Fest, weil es ein Junge ist“, erklärt die sechsjährige Zeinab die Freudenschreie. So jung schon vermittelt sie zwischen den Kulturen. Wir sind Nachbarinnen. Wir sitzen auf der Treppe und überlegen, wie die Geschichte für alle gut ausgehen kann. „Ich komme in die Schule“, sagt sie. „Yuyuyu“, rufen wir. „Ich kann Rad schlagen“, sagt ihre ältere Schwester Muna, die längst verstanden hat, dass sie die Konkurrenz durch Geschwister nicht stoppen kann. „Yuyuyu“, rufen wir. Später bringen die Mädchen mir Essen. Ihre Mutter hat sie geschickt. Freude zu teilen, gehört auch zur Kultur ihrer Heimat. Die Mädchen sind die Botschafterinnen.

Immer wieder erklären Zeinab und Muna den deutschen Nachbarn das arabische Leben. Einmal stehen sie schön gekleidet, frisch gekämmt vor der Tür und sagen: „Heute ist Zuckerfest.“ Die Kinder sind voller Freude, die wollen sie teilen. „Was ist ein Zuckerfest?“ „Da bekommen die Kinder von den Erwachsenen Süßigkeiten.“ Dann sagen die beiden Mädchen nichts mehr; stehen da, warten. Ich aber bin eine schlechte Schülerin: unwissend, geizig und fremd.

Auch dem alten Mann im Erdgeschoss erzählen sie vom Zuckerfest, mit dem der Ramadan endet. Er freut sich, dass sie ihn meinen, und schenkt ihnen ein paar Groschen. Etwas an den Mädchen erinnert ihn an die jüdische Familie, die er im Krieg versteckt hatte. Kein Zweifel: In unserem Hinterhaus ist Weltpolitik daheim.

Zeinabs Eltern flohen während des Libanonkriegs aus Beirut. Ihre Mutter konnte die Schule deswegen nur bis zur dritten Klasse besuchen. Dabei wäre ihr das Lernen leicht gefallen. Nicht nur den Kindern, auch ihr fliegen die Sprachen, die auf der Straße gesprochen werden, zu. Türkisch und Deutsch schweben direkt in ihren Mund, obwohl sie die meiste Zeit ihres Lebens in der Wohnung verbracht hat.

Je älter die vier dunkelhaarigen Mädchen werden, desto seltener müssen sie den Nachbarinnen ihre Kultur erklären, wohl aber den Eltern die deutsche Gegenwart. Die Enge der Wohnung treibt die Kinder auf die Straße. Ihr Dschungel heißt Lausitzer Platz. Da, in der Schule, im Hort erfahren sie, dass die Welt weit komplizierter ist als in ihren zwei Zimmern. „Aber wir hatten Glück. Vor allem im Hort hat man uns neugierig gemacht auf die anderen, auf das Fremde.“ Geht es darum, die unterschiedlichen Eindrücke zu verarbeiten, sind die vier Verbündete, geht es aber um die Liebe ihrer Mutter, können sie auch konkurrieren.

Von den vier ältesten Mädchen wirbt jedes auf seine Art um die Eltern. Muna überzeugt durch Gehorsam, Mariam besticht durch Scharfsinn. Majada entwickelt sich zur Friedensstifterin. Zeinab aber zieht die Aufmerksamkeit auf sich, indem sie sagt, was sie denkt. Eine undankbare Rolle ist es. Denn nicht immer wollen ihre Eltern oder die Lehrer es hören. Das schärft ihren Widerspruchsgeist noch. Ungerechtigkeit gegen Schwächere kann sie nicht ertragen.

Die Mädchenkarawane, durch ältere Brüder nicht aufgehalten, schafft es, sich Freiräume zu erobern. „Wir sind streng erzogen worden. Keine Klassenfahrten, kein Kino, keinen Freund, keine Widerworte. Die Kleinen heute dürfen überall hin, denen wird bei den Hausaufgaben geholfen.“ Zeinab übersieht, dass ihre lernbegierige Mutter die Schule mit den ersten fünf Kindern erst durchlaufen muss, damit sie den letzten fünf, die sie auch noch auf die Welt bringt, helfen kann.

So kämpfen sich die Mädchen bis zur Pubertät und durch sie hindurch. Ist ihre Mutter wieder schwanger, „sitzen wir zusammen und schmollen“. Eine ausweglose Art aufzubegehren. Heute aber ist Zeinab stolz auf jedes ihrer neun Geschwister. „Alle sind besonders. Alle sind klug. Alle sind schön. Wir hatten keine leichte Kindheit, weil wir so viele waren. Aber jeder ist interessant auf seine Art. Wenn man sich erst mal durchgeboxt hat, tritt man mit seinem eigenen Charakter hervor. Meine Mutter hat wunderbare Kinder geboren. Abgesehen davon, dass sie meine Mutter ist, ist sie selber wunderbar.“

Dass Zeinab es vor sieben Jahren, mit 16, zu Hause nicht mehr aushalten wollte, ist eine andere Geschichte. Als wieder einmal fremde Männerschuhe im Flur stehen, wissen die Mädchen: Im Wohnzimmer sitzt ein Anwärter auf die Ehe. Das kennt man hier schon. Bisher konnten sich die Mädchen diesem Lauf der Dinge entziehen. Diesmal aber ist Zeinab – und alle vier wissen, dass es um sie geht, denn je älter sie wird, desto schöner wird sie – entschlossen: „Ich wollte was Neues erleben. Als ich ihn kennen gelernt hatte, dachte ich, dass bei so einem angenehmen jungen Mann bestimmt auch was Positives für mich abfällt.“ Die 16-Jährige will sich in der Welt ausprobieren. „Ich mach, was ich für richtig halte.“ Das ist ihre Form, gegen das Gewohnte zu rebellieren.

Zeinab zieht mit ihrem Mann, der mitten in den Abiturprüfungen steckt, nach Recklinghausen. In der Ruhrpottstadt kriegt sie einen Kulturschock. Sie bewältigt ihn, indem sie nachts große Mengen Spaghetti kocht oder mit dem Walkman durch die Gegend zieht. Als sie aber nach einem Monat zum ersten Mal wieder nach Berlin kommt, küsst sie am Zoo den Boden. „Berlin ist so was Besonderes. Es gibt überall Menschen, überall U-Bahn-Stationen, überall was zu essen, überall Zigaretten.“

Niemand kann den zwei verheirateten Teenagern vorwerfen, dass sie nicht versucht hätten, die Ehe zum Erfolg zu führen. Zeinabs ebenfalls arabischstämmiger Mann geht zur Bundeswehr und ist einer der ersten Soldaten, der Dienst in Afghanistan tut. Sie sucht sich eine Arbeit, um aus der Isolation herauszukommen, und jobbt bei einer Telefonagentur. „Reden kann ich ja.“ Zusammen aber geht bald nichts mehr. Die beiden trennen sich.

2002 kommt Zeinab zurück nach Berlin. Ihre beruflichen Chancen sind schlecht: Realschulabschluss, keine Ausbildung, geschieden. „Nach der Trennung dachte ich: Entweder du fällst in ein tiefes Loch oder du reißt dich zusammen. Tust was. Glaubst an dich. Bist lebendig. Hörst nicht auf zu sein, und aufhören zu reden werde ich auch nicht. Dann such ich mir eben jemanden, der mir zuhört.“

Sie wohnt bei ihren Eltern, geht morgens aus dem Haus und sucht sich in der Stadt ihren Weg. Sie kennt da Leute. Sie schafft es, dass einer sie zur Kosmetikerin ausbildet. „Das gefällt mir, wenn jemand auf sich achtet, die Konturen im Gesicht herausfindet, die Form modelliert, die Augen akzentuiert. Hier ein bisschen Lippenstift. Da Lidschatten. Du, ich kann dir auch die Brauen zupfen. Es tut nicht weh.“

Für die Ausbildung jobbt Zeinab. Sie schminkt Models, kennt da ein paar beim Theater, dort ein paar vom Film, kämpft sich durchs Leben. „Warum kämpfen? Es ist auch: das Leben genießen. Als Baby fliegst du ja genauso auf die Nase und stehst wieder auf.“

Aus der Idee vom Kosmetiksalon wird erst mal nichts. Als Netzwerkerin aber, die sie ist, kreuzen andere Menschen, andere Chancen ihren Weg. Einmal wird sie angesprochen wegen ihrer langen Haare und ob sie sie für einen guten Zweck abschneiden ließe. „Aids-Gala oder so. Da hat mir ein Starfriseur die Haare geschnitten. Versprochen haben sie, dass sie sie nur bis zur Schulter abschneiden, sie haben es aber ganz kurz gemacht. Da war ich enttäuscht. Danach habe ich sie wild gefärbt. Einmal auch schwarz und rot und gold.“ Gerade lässt sie sie wieder wachsen, denn das Schöne ist ihr wichtig.

Deshalb auch ist ihr bei ihren Freundinnen aufgefallen, wie diese sich mit dem Schminken herumschlagen. Wie sie es nicht schaffen, ihre Augen mit Farben zu betonen. Da hat sie eine Idee: eine Lidschattenschablone! Sie setzt sich hin und entwickelt sie. „Eine Weltneuheit!“ Sie geht zum Patentamt und bekommt sie nach intensiver Prüfung anerkannt. Freunde helfen ihr, einen Internetversand aufzubauen. „Lidow“ heißt die Firma. „Das Produkt kommt gut an. Wir waren damit in Frauenzeitschriften, das ist eine Bestätigung. Wir bieten Qualität zu einem fairen Preis. Auch Drogerien haben die Schablone schon geordert.“ Fast über Nacht ist Zeinab Unternehmerin geworden und übt sich in der dazu passenden Sprache.

Zeinab ist eine mutige Frau, die nicht aufgibt. Manchmal aber könnte sie vor Wut schreien. Wenn man in ihr die Ausländerin sehen will. Die Araberin. Und nicht den Menschen. Wenn sie schön zurechtgemacht an der Kasse steht, die Kassiererin sie aber nicht so grüßt wie die Hausfrau im Trainingsanzug vor ihr. „Es hat was damit zu tun, dass ich nicht wie ’ne Deutsche aussehe. Aber lass uns endlich über was anderes reden. Über Muhammad Ali. Ich liebe ihn. Ich muss lachen, weil ich ihn so fantastisch finde. Er hat Fans aus vielen Schichten, und ich gehöre dazu.“