S-Bahn-Terror
: Gefährliche Gäste

Wir lassen Taschen in Zügen stehen

„Was würdest du tun, wenn ich im Lotto gewinne?“ Sie überlegt nicht lange: „Die Hälfte nehmen und die Scheidung einreichen!“, sagt sie. Die Antwort kommt postwendend: „Ich hab 36 Euro gewonnen, hier sind 18 Euro, und jetzt hau ab!“

Dieses Beispiel an Schlagfertigkeit ist höchstwahrscheinlich der Fantasie eines mittelmäßig begabten Gagschreibers entsprungen. Zumindest kenne ich niemanden, der behauptet, ein solches Gespräch belauscht zu haben. Trotzdem ist Schlagfertigkeit, wie die hier vorgeführte, das Salz in der Humorsuppe. Lange vorbereiten oder gar auswendig lernen kann jeder, aber der richtige Spruch zum richtigen Zeitpunkt übertrifft jeden konstruierten Witz.

Die Frau neben mir klammert sich schon eine ganze Weile panisch an ihrer Tasche fest. Seit vor wenigen Stationen eine Gruppe arabischer Männer in die S-Bahn stieg, scheint sie sich sehr unwohl zu fühlen. Erst beginnt sie leise zu meckern, das Lachen der Männer ist ihr anscheinend zu laut. Dann meckert sie etwas lauter, sie fühlt sich anscheinend provoziert von so viel Fröhlichkeit. Schließlich weist sie einen anderen Fahrgast auf die gefährliche Nähe seines Gepäckstücks zu der Gruppe hin. Dieser versteht nicht ganz und ist auch nicht willens, die Kopfhörer abzunehmen. Ich allerdings verstehe sie sehr gut und frage sie nach ihrem geistigen Gesundheitszustand.

Inzwischen haben auch die Männer begriffen, dass die Dame ein Problem hat, und hören unserem kleinen Disput aufmerksam zu. „Es ist doch so! Da muss man gar nichts beschönigen. Das sind doch die Leute, die in den Zügen immer die Taschen mitnehmen!“

Der Zug fährt in den Bahnhof ein. Einer der Männer kommt auf die Frau zu. „Da haben sie was verwechselt. Wir sind die Leute, die Taschen in den Zügen stehen lassen“, sagt er lächelnd und steigt aus. JURI STERNBURG