Urwald noch kaputter

Zerstörung des Regenwalds in Amazonien nimmt wieder zu. Grund ist vor allem der Anbau von Soja für den Export

PORTO ALEGRE taz ■ Der Alltag in Brasilien mit all seinen sozialen Problemen macht derzeit andere Schlagzeilen als die Zerstörung des Urwalds. Drei Monate nach der Ermordung der Ordensschwester Dorothy Stang (die taz berichtete) ist das Thema Amazonien aus den Schlagzeilen verschwunden. Dabei erreicht das Ausmaß der Urwaldzerstörung, gegen die sich Stang gestemmt hatte, bald neue Rekorde. Im vergangenen Jahr wurden im brasilianischen Teil Amazoniens 26.130 Quadratkilometer Wald vernichtet, wie das Nationale Institut für Weltraumforschung nach Auswertung seiner Satellitenbilder ermittelte. Das ist der nach 1994/95 zweithöchste Wert aller Zeiten – und 6,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Nach einer Studie des Amazon-Instituts aus Belém hat der Raubbau in den letzten Jahren vier neue Regionen in den Bundesstaaten Pará und Amazonas erreicht. Dort haben Holzfäller und Landräuber neue Schneisen von insgesamt 90.000 Kilometer Länge angelegt. Im „Bogen der Entwaldung“, wo die Agrargrenze von Süden und Osten her auf den Regenwald vorrückt, sind Viehzüchter oder die Produzenten von Holzkohle für die Verhüttung von Eisenerz die Hauptsünder, vor allem jedoch die von der Regierung gehätschelte Sojawirtschaft, die dort für den Export vor allem nach Europa und China anbaut.

Allein im nördlichen Teil des Bundesstaats Mato Grosso wurden 12.576 Quadratkilometer abgeholzt. Der dortige Gouverneur, „Sojakönig“ Blairo Maggi, nimmt für seinen Konzern gern günstige „Entwicklungs“-Kredite in Anspruch, etwa von der Deutschen Entwicklungsgesellschaft oder von der Westdeutschen Landesbank. 2004 erhielt er von der Weltbank-Tochter IFC 30 Millionen Dollar für die Ausweitung seiner Lagerkapazitäten.

Das Wirtschaftswachstum von zuletzt fünf Prozent habe zu dem „unerwünschten“ Zuwachs an Zerstörung beigetragen, räumte auch Umweltministerin Silva ein. „Wir bemühen uns weiter“, versichert ihr Kollege Ciro Gomes. Solche Statements können Umweltschützern nur ein müdes Lächeln entlocken. Trotz positiver Einzelmaßnahmen stelle der Schutz Amazoniens für Lula keine Priorität dar, beklagte Paulo Adario von Greenpeace. Ein Aktionsplan gegen die Entwaldung werde nur halbherzig umgesetzt, Gelder dafür würden zurückgehalten. Das Umweltministerium sei auf sich allein gestellt, meint auch Nurit Bensusan von WWF-Brasilien. Für ihn lautet das „fundamentale Dilemma“ der Regierung: „Soll sie die Entwaldung aufhalten oder das Wachstum des exportorientierten Agrobusiness fördern, um die Auslandsschulden zu bedienen?“ Die Antwort weiß er schon. GERHARD DILGER