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Genau geprüft und gut gezockt

Beim VfB Stuttgart durfte die Göttinger Gruppe 1997 Sponsor sein. Das hatte sie groß und salonfähig gemacht. Viel Politprominenz hatte sich einspannen lassen. Danach sorgten die Göttinger Finanzhaie für den größten Anlageskandal der Republik. Der Fall mit 100.000 Geschädigten, einer Milliarde Euro Schaden und vielen Wurzeln im Schwäbischen beschäftigt bis heute die Gerichte. Inzwischen verurteilte der BGH einen am Rande involvierten Exminister zu Schadenersatz

von Meinrad Heck

Der wackere schwäbische Kripomann hatte den Skandal geahnt. Schon damals, kurz vor der Jahrtausendwende, als 100.000 Kleinanleger in der ganzen Republik begannen, um ihr Geld zu fürchten, das sie bei dubiosen Finanzhaien aus Niedersachsen geparkt hatten. Eine gewisse Göttinger Gruppe hatte über Jahrzehnte kleinen Leuten ein kompliziertes Finanzkonstrukt als Steuersparmodell mit dem sehr einfachen Namen „SecuRente“ angedreht. Das hatte nach Sicherheit und Altersvorsorge geklungen. Der Kripomann aus Stuttgart aber hatte die skandalöse Geldmaschine durchschaut. Doch die niedersächsische Justiz hatte ihn ausgebremst.

Solche Sprüche von Sicherheit und Altersvorsorge waren seinerzeit nach dem Geschmack der großen Politik, welche diesen kleinen Leuten damals zur privaten Rente geraten hatte, weil die staatliche knapp zu werden schien. Das hatte Finanzhaien die Türen in die Wohnzimmer von Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher geöffnet. Ein Milliardenmarkt war erschlossen, und er spülte diese Milliarden in die Kassen dubioser Finanzvermittler. Die ersten, die größten und die legendärsten waren bis zu ihrem Zusammenbruch 2007 die Mitglieder dieser Göttinger Gruppe um einen Rechtsanwalt namens Jürgen Rinnewitz. Über zwanzig Jahre lang wehrten sie sich erfolgreich gegen Vorwürfe, ein Schneeballsystem zu betreiben und Altanlegern ihre Rente nur mit dem Geld immer neuer Kunden auszuzahlen.

Tatsächlich hatten sie bis zum großen Crash im Jahr 2007 genau das getan. Und vieles davon spielte sich in Baden-Württemberg ab. Als diese Göttinger noch groß und unantastbar gewesen waren, hatten sie sich 1997 für viele Millionen als Sponsor beim VfB Stuttgart eingekauft und sich kurz danach eine marode Privatbank im tauberfränkischen Bad Mergentheim unter den Nagel gerissen, um mit einer offiziellen Banklizenz endlich richtige Geldgeschäfte machen zu können. Bei dieser Bank war nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Das hatte einen Stuttgarter Staatsanwalt alarmiert, und in dessen Auftrag hatte jener wackere schwäbische Kripomann namens Michael Reizel gegen diese Bank und ihre neuen Eigentümer aus Göttingen ermittelt.

Niedersächsische Justiz bremste Stuttgarter Kripo aus

Der heute pensionierte Beamte wäre seinerzeit im Jahr 2000 am liebsten mit einem Durchsuchungstrupp des Bundeskriminalamts nach Göttingen marschiert und hätte die dubiosen Finanzmenschen in ihrer Firmenzentrale mitsamt ihrem Schneeballsystem zuerst unter die Lupe und dann nach allen Regeln kriminalistischer Kunst auseinandergenommen. Das hätte tatsächlich einigen zehntausend Menschen zig Millionen Schaden erspart, wenn die niedersächsische Justiz diesen Kripomann nicht kaltgestellt hätte. Aber in Hannover hatten sie den renitenten Beamten ausgebremst. Und auch seine vielen Anzeigen wegen Strafvereitelung gegen solch „ignorante“ Staatsanwälte waren im Sand verlaufen. Noch weitere sieben Jahre würde die Göttinger Gruppe bis zu ihrem Zusammenbruch kleinen Anlegern das Geld aus der Tasche ziehen dürfen.

Nur etwas vorsichtiger waren sie danach geworden. Weil die schwäbischen Untersuchungen, auch wenn sie erfolglos geblieben waren, ihren Ruf angekratzt hatten und ihr Stern zu sinken begann. Der jenes Rechtsanwalts und Mitbegründers des Unternehmens namens Jürgen Rinnewitz vor allem. Dem Mann war es immerhin über viele Jahre gelungen, sich mit einem Bundeskanzler Helmut Kohl, Außenminister Hans-Dietrich Genscher, mit Ministerpräsident Lothar Späth oder dem VfB Stuttgart unter dessen Übervater Gerhard Mayer-Vorfelder im Gefolge salonfähig zu machen. Aber offen wollte bald niemand mehr mit dem Advokat Geschäfte machen, nur verdeckt. Und auch da würde die Politprominenz wieder sehr hilfreich sein.

„Master Star Fund“, das klang fantastisch. 200 Millionen Euro wollte dieser Fonds 2004 wieder von Kleinanlegern einsammeln. Geködert wurden sie mit den flotten und außerordentlich seriös klingenden Sprüchen eines gewissen Prof. Dr. Rupert Scholz, der in seinen besseren Jahren kurzzeitig als Verteidigungsminister hatte dienen dürfen. Scholz posierte für einen Hochglanzprospekt vor holzvertäfeltem Ambiente unter einem Kristalllüster (s. Foto). Er positionierte sich als Beirat einer Portfolio-Gesellschaft und brachte solche Sätze über die Lippen wie: „Erst nach einer genauen Prüfung der Strukturen und der Personen habe ich meine persönliche Mitwirkung und Unterstützung zugesagt.“ Das sollte ihm im November 2011 vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe zum Verhängnis werden.

Denn welche Personen wollte er da vermeintlich „genau geprüft“ haben? Tatsächlich steckte hinter diesem legendär gewordenen sogenannten Politikerfonds jener Jürgen Rinnewitz aus Göttingen. In einem Geheimvertrag beauftragte ihn ein Tarnunternehmen namens Sales Product Services GmbH (SPS) – so wörtlich – mit der „rechtlichen Konzeption“ und der „Vorlage eines Emissionsprospektes“ für den geplanten Politikerfonds namens Master Star Fund. Als Honorar sollte Rechtsanwalt Rinnewitz 244.000 Euro plus Mehrwertsteuer erhalten.

Dass solch dubiose Gestalten hinter dem Produkt steckten, war riskant. Und über dieses Risiko hätten Anleger aufgeklärt werden müssen. Wurden sie aber nicht. 6.957 Investoren zeichneten das Kapital von 200 Millionen Euro, zahlten schon mal 43 Millionen Euro tatsächlich ein. Davon verschwanden 33 Millionen schnurstracks als Provision in den Taschen zweifelhafter Vermögensberater. Wenig später schloss die behördliche Finanzdienstleistungsaufsicht den Fonds wegen verbotener Bankgeschäfte, und das Geld war futsch. Rupert Scholz hatte den Beirat schon Monate zuvor verlassen. Und dennoch sollte ihn der Fall nicht loslassen.

Rupert Scholz, Jurist und Professor für Finanzrecht, hatte wenig später auf Umwegen in Baden-Württemberg angedockt. Die im Musterländle über Jahre bis in die Spitze der Landesregierung hinein exzellent vernetzte Rechtsanwaltskanzlei Gleiss Lutz aus Stuttgart hatte ihn für ihr Berliner Büro als „Of Counsel“, eine Art Berater, angeheuert. Der Mann war und ist wertvoll, vor allem sein Name und sein Adressbuch. Denn, so Gleiss Lutz in einer Mitteilung, „als ehemaliges Mitglied der Bundesregierung verfügt Rupert Scholz über hervorragende Kontakte in die Politik“.

Bundesgerichtshof urteilt gegen Exverteidigungsminister

Ende 2011 kümmerte sich, peinlich für Scholz, der Bundesgerichtshof um diesen früheren Verteidigungsminister. Im Zusammenhang mit jenem Politikerfonds und der Göttinger Gruppe war Scholz von einem Anleger auf Schadenersatz verklagt worden. Der Fall wanderte über Jahre durch sämtliche Instanzen. Ein baden-württembergisches Landgericht verdonnerte ihn zu Schadenersatz, die nächste Instanz im Oberlandesgericht entlastete ihn. Seine so vertrauenerweckenden Erklärungen über „genaue Prüfungen“, urteilte das OLG, seien lediglich eine „erkennbar reklamehafte Anpreisung“ des Fonds, versehen mit „allgemeinen blumigen Ausführungen“ gewesen. Der Bundesgerichtshof machte vor wenigen Monaten diesem Spuk ein Ende.

Nach diesem fast druckfrischen Urteil des BGH „zur Verantwortlichkeit eines früheren Spitzenpolitikers und Inhabers eines Lehrstuhls unter anderem für Finanzrecht“ (AZ: III ZR 103/10 ) wird Rupert Scholz mit seinen früheren Äußerungen in die sogenannte Prospekthaftung genommen. Nach diesem höchstrichterlichen Urteil drohen ihm hohe Schadenersatzforderungen. Der Wirtschaftskrimi um die Göttinger Gruppe mit Auswirkungen bis nach Baden-Württemberg hatte vor über zwanzig Jahren begonnen. Abgeschlossen ist dieser Skandal bis heute nicht. Das Urteil gegen Rupert Scholz war nur ein Etappensieg für vorerst einen geschädigten Anleger im Umfeld dieser bankrotten Finanzhaie. Weitere sollen folgen.

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