Brot und Butter gibt es nicht im Baumarkt

KAUFBERATUNG So viel Fahrradtechnik war noch nie. Doch was braucht man wirklich? Und wie viel Geld sollte man für ein gutes Alltagsrad ausgeben? Irgendwo zwischen 499 und 999 Euro fallen die meisten Entscheidungen

VON GUNNAR FEHLAU

Für die Marketing- und Vertriebsprofis ist der potenzielle Fahrradkäufer ein Endverbraucher wie jeder andere auch, zu verorten zwischen Gier und Geiz. Diese Begrenzungspfähle nennen sie „Eckpreislagen“, und sie wissen auch, warum: Bis zum jeweiligen Preis lassen sich die Kunden einfach „hochberaten“, die Schwelle überschreiten sie hingegen auch bei bester Beratung kaum.

Die wichtigsten Eckpreislagen für den Fahrradmarkt lauten 499 und 999 Euro. 499 Euro markieren den Einstieg in die Welt des wirklichen Fahrrads, darunter sind einzig Spielzeuge für kleine oder große Kinder zu bekommen. Und ab 999 Euro hört für die meisten Bürger der Spaß auf, beim Bezahlen wohlgemerkt. Nicht beim Fahren. Der Markt dünnt sich jenseits der 1.000-Euro-Grenze schnell aus – Sportgeräte, Maßanfertigungen und Pedelecs markieren hier die Ausnahme. Die Zahlen der Verbände decken sich damit: So gibt der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) über alle Vertriebswege hinweg 460 Euro als Durchschnittspreis für ein Fahrrad im Jahr 2010 an. Der Verbund Service und Fahrrad, dem Fachhändler mit gediegenem Sortiment angehören, kommt für das Jahr 2011 auf etwa 1.089 Euro je Rad.

Damit wird klar: Die Branche lebt weder von kostspieliger Highend-Technik noch von den Baumarkt-Bikes. Sie lebt von den Trekking- und Cityrädern zwischen 500 und 1.000 Euro. Insider nennen sie deshalb „Brot und Butter“-Räder. Aber was bedeutet diese Zentrierung für den Kunden? Wirklich nichts Schlechtes: Da die Eckpreislagen so umkämpft sind wie kein anderer Preispunkt, gibt es hier besonders viel Technik fürs Geld. Jeder Produktmanager packt sein Rad randvoll mit technischen Lockmitteln, um die Gunst der Kunden zu erlangen. Errungenschaften wie der Nabendynamo sind so binnen wenigen Jahren vom Luxus-Dreher für Enthusiasten zum faktischen Standard selbst bei Stadträdern unter 500 Euro geworden. Gleiches gilt für V-Bremsen, Aluminiumrahmen, Federgabeln, gefederte Sattelstütze und LED-Lichtanlagen mit Standlicht an Front und Heck. So weit, so gut – wer sein Rad im Alltag wirklich benutzen möchte, der wird diese Errungenschaften zu schätzen wissen.

Tückischer ist da schon die Schaltungsfrage: Anders als manches Detail, das sich einfach ändern oder nachrüsten lässt, ist ein Schaltungswechsel kostspielig. Insofern tut man gut daran, sich frühzeitig für Naben- oder Kettenschaltung zu entscheiden. Die Nabenschaltung ist wartungs- und verschleißärmer, lässt sich auch im Stand bedienen und ist insgesamt die saubere Alternative. Auf dem Kerbholz hat sie einen geringfügig höheren Fahrwiderstand, ein geringeres Übersetzungsspektrum und höheres Gewicht. Die Kettenschaltung kommt sportlicher, leichter und schneller daher. Das erkauft man sich mit einer defektanfälligeren, offenen und sensibleren Technik. Für den Autor haben Stadträder keine oder eine Nabenschaltung, Sportgeräte keine oder eine Kettenschaltung.

Von ebenfalls grundsätzlicher Fragestellung ist die Rahmenform. Vorbei die Zeiten, in denen nach Geschlechtern differenziert wurde. Heute stehen Anwendung und Konzept im Vordergrund. So haben Sportgeräte einen Diamantrahmen, weil dieser so leicht und steif wie keine andere Bauform ist. Beim Stadtrad kommt aber die Annehmlichkeit beim Gebrauch ins Spiel. Wer bequem auf- und absteigen möchte oder häufig mit Rock oder langem Mantel unterwegs ist, der wählt ein Modell mit „tiefem Einstieg“. Wer auch im Alltag sportlich fährt oder regelmäßig schweres Gepäck dabei hat, der greift zum Modell mit Diamantrahmen.

Glücklich, wer zwischen 800 und 999 Euro für sein Alltagsrad ausgeben kann. Denn der läuft in der Regel keine Gefahr, minderwertige Technik zu erhalten. Eher das Gegenteil kann zum Problem werden: Weil die Eckpreislagen viel Technik verlangen, bleiben Konzept und Design auf der Strecke. Schickere Räder haben stets eine weniger pompöse technische Ausstattung. Beides geht nicht, basta! Und wer möglichst viel Technik in ein Rad packt, damit es viele Kunden anspricht, dessen Rad wird allzu schnell beliebig. Insofern lohnt stets der Blick in die Nischen. Dort finden sich durchaus spannende Räder, die keine 1.000 Euro kosten. Als Beispiel seien hier Transport- und Falträder genannt. Sie mögen „weniger Shimano fürs Geld“ haben als manches Trekkingrad, sind aber für nicht wenige Alltagsradler unter Umständen die bessere Wahl. Das sind wahrscheinlich diejenigen, die auch ihren Rotwein nicht nach dem Alkoholgehalt auswählen, sondern danach, ob er zum Essen und zur aktuellen Gemütslage passt.

■ Gunnar Fehlau (38) ist Autor diverser Fahrrad-Fachbücher, Gründer und Geschäftsführer der pressedienst-fahrrad GmbH und Herausgeber des Radkulturmagazins Fahrstil. Er hat nach eigenem Bekunden schon jeden Fahrradtyp dieser Welt gefahren, vom Rennrad bis zum Lastenrad