Sushi-Algen nach den Gesetzen der Thora

ALLES KOSCHER Viele Berliner Juden halten sich nicht an die Speiseregeln. Ein „Koscherfest“ sollte das ändern

Michael liest gepresste, grüne Algenblätter so aufmerksam wie andere Juden die Thora. Er hält sie gegen das Sonnenlicht und untersucht sie gründlich auf etwaige Insekten, bevor die Algen zu koscherem Sushi verarbeitet werden. Denn Michael ist „Maschgiach Kaschrut“ und kontrolliert als solcher, ob seine Wilmersdorfer Gemeinde die jüdischen Speisegesetze einhält. Am Sonntag feierte sie im Chabad-Bildungszentrum ein Koscher-Fest mit rauen Mengen Sushi und Michael kam aus dem Algen-Scanning kaum noch heraus. „Nicht das kleinste Insekt darf drin sein“, betont der Mann mit dem roten Vollbart.

„In Berlin lebt nur ein kleiner Teil der Juden wirklich koscher“, sagt Bella Zchwiraschwili, die Veranstalterin des Festes. „Sie nehmen an, es sei teuer und kompliziert, koschere Produkte zu besorgen. Wir wollen zeigen, dass es gesund und einfach ist.“ Also hat sie diverse Firmen ins Bildungszentrum geladen, die auch in regulären Supermärkten koschere Lebensmittel vertreiben: von Nudeln über Saft bis hin zu Schokolade. Viele Familien sind gekommen, das Fest ist sehr gut besucht.

Auch Igor ist da. „Ich esse eigentlich alles“, sagt der Familienvater. Modisch neigt er ebenfalls zum Eklektischen: Seine Kippa trägt er zu einer nietenbestickten Lederjacke. „Ich bin wegen meiner Kinder hier, damit sie was über die Traditionen lernen“, so Igor weiter. Die Kinder experimentieren derweil im Hof mit Pastasauce.

Veranstalterin Zchwiraschwili beobachtet, dass koschere Küche längst nicht nur für Juden interessant ist, sondern zunehmend auch ein nichtjüdisches Publikum anzieht. „Veganer und Gesundheitsbewusste kochen verstärkt koscher, weil dabei die hygienischen Standards besonders hoch sind“, sagt sie. Eine Besucherin nickt und wirft ein, ihr gehe es vor allem um das bewusste Essen.

Die jüdischen Speisegesetze haben ihren Ursprung in der Thora und liefern ein verzweigtes System von Vorschriften. Eine der wichtigsten besagt, fleischige und milchige Speisen getrennt zu verzehren – sogar auf separatem Geschirr. Schweinefleisch ist tabu, koschere Tiere müssen Wiederkäuer mit zweigespaltenen Hufen sein. Und für die Sushiproduktion, die Michael überwacht, dürfen nur Fische mit Schuppen und Flossen benutzt werden. „Wie alles wird auch das koschere Leben irgendwann zur Routine“, versichert Michael und pult etwas aus den Algen, das entfernt an ein Insekt erinnert. JOANNA ITZEK