Trotz Prügel ungeschlagen

Sie hätten MTV haben können, nun sind sie auch Viva los: Die Bilanz des Medienstandortes NRW ist düster – auch wenn Ministerpräsident Steinbrück das vor der Landtagswahl morgen bestreitet

VON SEBASTIAN SEDLMAYR
, KÖLN UND STEFFEN GRIMBERG, BERLIN

Für Rot-Grün ist es angeblich eine „Schicksalswahl“, doch während frühere NRW-Landesregierungen stets mit ihrer Bilanz in Sachen Medienstandort Nordrhein-Westfalen hausieren gingen, spielte die Medienpolitik im Wahlkampf 2005 eigentlich gar keine Rolle. Bis dann am Mittwoch die „Information der Landesregierung „490/5/2005“ aus dem Fax quoll: „NRW weiterhin Film- und Fernsehstandort Nr. 1“.

Endlich eine gute Nachricht in der ansonsten verhagelten Medienbilanz von NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD). Dabei hätte die gar nicht so schlecht aussehen müssen. MTV zum Beispiel könnte heute auch aus Köln senden. Helmut G. Bauer, damals Geschäftsführer der landeseigenen NRW Medien GmbH, hatte den seinerzeit umzugswilligen Musiksender von München an den Rhein zu lotsen versucht – sagt er. Das war 2002, doch die Landesregierung in Person ihrer parteilosen Medienstaatssekretärin Miriam Meckel stellte sich dagegen: „Ich hatte mich um MTV bemüht, aber Frau Meckel sagte, ich solle die Aktivitäten nicht fortsetzen, weil das nicht im Sinne von Viva sei“, so Bauer gestern zur taz. Ironie verfehlter Medienpolitik: Viva wurde mittlerweile vom Erzkonkurrenten geschluckt, geht in der MTV-Senderfamilie auf – und zieht vom Rhein an die Spree.

Schon 2003 von NRW in die Hauptstadt abgeworben wurde auch die weltgrößte Musikmesse Popkomm. Wieder hätte man handeln können, sagt Bauer („Ich habe zweimal von Miriam Meckel Prügel bezogen“) heute. „Ich habe vor dem Umzug der Popkomm gesagt: Wir müssen mit Dieter Gorny sprechen“, so Bauer, der früh von den Berliner Plänen Wind bekommen hatte. Doch auch da habe Meckel die Hand über den Viva-Begründer gehalten und abgewehrt: Das seien alles „nur Gerüchte“.

Dabei bleibt Meckel auch jetzt: „Nur Gerüchte“, die zu kolportieren sie „erstaunlich“ fände, seien Bauers Einlassungen, so Meckel gestern zur taz. Zu dem „Unsinn“ habe sie nichts zu sagen.

Wegen anhaltender Erfolglosigkeit wurde die NRW Medien GmbH 2003 aufgelöst, Bauer, dessen Vertrag offiziell bis 2006 lief, geschasst. Heute arbeitet der ehemalige Radio-NRW-Geschäftsführer wieder als Anwalt und Medienberater. Er frage sich, warum momentan so viel vom „Ende des Medienstandorts Köln“ zu lesen sei. „Die Signale gab es doch schon viel früher“, sagt Bauer, „aber die Landesregierung hat nicht entsprechend reagiert.“ Wichtig sei, dass es einen zentralen Ansprechpartner gibt, „wie damals Wolfgang Clement“. Unter dem heutigen Bundeswirtschaftsminister und ehemaligen NRW-Regierungschef hatte Medienpolitik erste Priorität im Lande. „Ich will mit der Entwicklung der Fernseh-, Film- und Kommunikationswirtschaft in NRW nicht nur in Deutschland auf Platz eins, sondern in Europa“, hatte Clement (SPD) 1998 via Spiegel verkündet. Doch viele von Clements ehrgeizigen Projekten entpuppten sich als Rohrkrepierer. Nachfolger Steinbrück übernahm ein schwieriges, am Tropf der öffentlichen Hand hängendes Terrain. Der Medienetat der Staatskanzlei wurde gleich nach seinem Amtsantritt 2003 von 41 auf 28 Millionen Euro gekürzt, der Standortwettbewerb eigentlich für tot erklärt.

„Als Film- und Fernsehstandort bleibt NRW ungeschlagen die Nummer 1“, erklärte Steinbrück dann plötzlich am Mittwoch: „Angesichts manch kritischen Abgesangs auf den Medienstandort NRW“ sprächen die aktuellen Zahlen „eine eindeutige Sprache“. Allerdings wurde diese einsame Spitzenposition nur erreicht, weil man einfach die im Land hergestellten Sendeminuten addierte. Eine Zählweise, die schon bei ihrer ersten Präsentation vor einigen Jahren in der Branche vor allem Spott geerntet hatte: Dass in der TV-Fabrik Köln dank RTL & Co. vor allem viel (und relativ billiges) Fernsehen von der Stange produziert wird, ist so neu eben nicht.

Mit diesem Pfund können – je nach Wahlausgang am Sonntag – auch künftige Landesregierungen wuchern. Wer allerdings nach einem Sieg der CDU-FDP-Opposition den medienpolitischen Stab in NRW übernimmt, ist genauso undurchsichtig wie das zugehörige Konzept. Einzig der FDP-Mann Stefan Grüll ist durch halbwegs konstruktive Überlegungen aufgefallen. Doch das war 2003, und bei der Wahl 2005 rangiert Grüll auf einem eher aussichtslosen Listenplatz.