CHODORKOWSKI IM KÄFIG ZERSTÖRT PUTINS RECHTSSTAATSFASSADE
: Räuberbaron wird Märtyrer

Es ist ein barbarischer Anblick: Der angeklagte Milliardär Michail Chodorkowski sitzt vor Gericht in einem eisernen Käfig – wie das Raubtier, als das ihn die Kremljustiz der russischen Öffentlichkeit präsentiert. Dem ehemaligen Yukos-Chef wird stellvertretend für alle Räuberbarone der Privatisierungsphase der Prozess gemacht. Von Gleichbehandlung kann jedoch nur in einer Hinsicht die Rede sein: Wer in Russland vor Gericht steht, der landet immer im eisernen Käfig. Dieser Käfig ist das Sinnbild eines Systems, das Angeklagte wie auch Richter gefangen hält. In Russland ist die Justiz nach wie vor Erfüllungsgehilfin der Politik.

Nichts spricht dagegen, Chodorkowski und den anderen Privatisierungsgewinnlern den Prozess zu machen. Auch wenn es schwierig ist, die gigantische Umverteilung juristisch aufzuarbeiten. Damit wäre wohl jeder Rechtsstaat überfordert. Russland ist es allemal. Doch es geht gar nicht um den Nachweis kriminellen Verhaltens. Vielmehr wird ein Exempel statuiert, das andere Superreiche als Warnung verstehen sollen: nicht nach der Macht zu greifen. „Schauprozess“ ist die passende Bezeichnung für das Moskauer Spektakel. Die Richter unternehmen nicht einmal den Versuch, sich von der Klageschrift der Staatsanwaltschaft zu lösen.

Die Verschleppung der Urteilsverkündung ist nur eine Äußerlichkeit. Der Kreml hofft, damit Schaden abwenden zu können. Denn die Affäre hat ihm schwere Rückschläge zugefügt – und nun reißt der Prozess auch noch die Fassade der Rechtsstaatlichkeit ein. Präsident Putins Logik der „gelenkten Demokratie“ verlangt eine „gelenkte Justiz“. Vertreter der deutschen Wirtschaft in Moskau feierten die Verhaftung des Milliardärs einst als rechtsstaatliche Maßnahme. Sie haben sich getäuscht. Mit jedem Verhandlungstag kehrt Russland weiter in die Vergangenheit zurück. Die Bürger verstehen, dass auch ihnen das Gefängnis droht, wenn immer der Staat das für opportun hält.

Ein gerechtes Verfahren hätte den Glauben an den Rechtsstaat gestärkt und Chodorkowski als das gezeigt, was er war oder noch ist: ein skrupelloser Krisengewinnler. Stattdessen macht der Kreml ihn zur Symbolfigur eines anderen, modernen Russlands. Zum Märtyrer. KLAUS-HELGE DONATH