„So etwas kann man nicht wiederholen“

Die Deutsche Bahn hat mit dem Ticketverkauf bei Lidl einen Marketingerfolg erzielt, meint Verkehrsexperte Gerd Aberle. Doch langfristig sollte sie lieber auf Qualität als auf Masse setzen. Denn es gehe nicht nur allein darum, neue Kunden zu werben

„Es wurden Kunden angesprochen, die sonst nicht mit dem Zug fahren“

INTERVIEW STEPHAN KOSCH

taz: Herr Aberle, die Bahn hat rund eine Million Tickets bei Lidl verkauft. Hat sie sich damit einen Gefallen getan?

Gerd Aberle: Als einmalige Aktion kann das unter Marketingaskepten durchaus sinnvoll gewesen sein. Die Bahn ist stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung gerückt, es wurden Kunden angesprochen, die sonst nicht mit dem Zug fahren. Die Öffentlichkeitswirkung ist ja enorm.

Bahnchef Mehdorn erwartet, dass von den Kunden, die durch ein solches Angebot zum ersten mal Fernverkehrszüge benutzen, 40 Prozent als Kunden wiederkommen. Ist das realistisch?

Die Zahl ist gegriffen. Die Datenlage ist bei der Eisenbahn schlecht, anders als im Luftverkehr. Wir wissen nicht, wer wann die Bahn benutzt hat. Das erschwert übrigens auch gezieltere Maßnahmen. Im Grunde geht es nicht darum, nur neue Kunden zu werben, sondern sie in die hochwertigen Züge und Verbindungen mit schlechter Auslastung zu bringen.

Das hatte die Bahn mit dem neuen Preissystem probiert.

Ja, das ist in die Hose gegangen. Das System war zu kompliziert, und durch die gleichzeitige Abschaffung der Bahncard 50 ist das Thema extrem emotionalisiert worden. Aber die grundsätzliche Idee war richtig, nämlich die Auslastung besser zu verteilen.

Nun ging das Lidl-Angebot komplett in die andere Richtung: pauschaler Preis ohne Zug- und Streckenbindung. Die Kunden haben das angenommen. Sollte die Bahn nicht viel öfter solche Angebote machen?

Davor würde ich warnen. Die Kunden werden voraussichtlich zu den Zeiten fahren, die sowieso schon stark genutzt werden, zum Beispiel der Freitag oder Sonntag. Da sind die ICEs schon zu über 100 Prozent ausgelastet. Wenn die Kunden nun von Berlin nach Freiburg stehen müssen, wird sie das ärgern – und möglicherweise auch für die Zukunft abschrecken.

Verdient die Bahn überhaupt noch an solchen Billigtickets?

Wenn es gelänge, auch schlecht ausgelastete Züge zu füllen, dann verdient die Bahn daran. Denn jeder nicht genutzte Platz ist ein Verlust. Wenn man das als Werbeaktion begreift, war das vergleichsweise günstig. Aber so etwas kann man nicht wiederholen. Denn dann müsste die Bahn auch eine gewisse Qualität sicherstellen und überfüllte Züge verhindern. Das kann sie nicht.

Immerhin könnten die Discounter ja auch ein neuer Vertriebsweg sein. Die Reisebüros sorgen sich um ihre Zukunft und sind gerichtlich gegen die Lidl-Aktion vorgegangen. Werden sie in Zukunft noch gebraucht? Es gibt doch auch das Internet und die Automaten.

Wenn man hochwertige Reisen anbietet braucht man auch ein Mindestmaß an Beratung. Bei Lidl gab es das nicht. Das Internet nutzen vor allem Geschäftsreisende, und die Automaten sind noch immer zu kompliziert. Die fragen zu viel ab, irgendwann muss man noch die Religion angeben. Nein, auf den Schalterverkauf und die Reisebüros sollte die Bahn nicht verzichten.

Wie könnte der Fernverkehr denn dann wieder aus den roten Zahlen kommen?

Der Fernverkehr wird anders als der Regionalverkehr nicht mit öffentlichem Geld quersubventioniert. Und er ist ein Qualitätsprodukt. Darüber gewinnt die Bahn Kunden. Ab und zu eine interessante Aktion zur Öffentlichkeitsarbeit ist gut, doch auf Dauer sind auf Masse angelegte Aktionen nicht sinnvoll. Dann sinkt das Preisniveau insgesamt, und die Bahn, die ja immerhin eine Aktiengesellschaft ist, bekommt Probleme beim Gewinn. Kaum einer zahlt doch jetzt schon den vollen Preis.