HAMBURGER SZENE VON REBECCA CLARE SANGER
: Eine Frage der Ehre

Freiwillig hat sich die eine das Telefon links in den Ausschnitt über die Brust gesteckt, ein Kopfhörer-Ohrenstöpsel sucht sich zaghaft den Weg zum Ohr der anderen. Freiwillig haben sie sich die Haare zu einem straßenköterfarbenen Vogelnest toupiert, das über ihrer Stirn balanciert. „Ey welches Mädchen würde das machen, ey, ich lieb Ali, ich fahr da noch extra hin, vor seiner Prüfung, und das wo er mich betrogen hat, ey welches Mädchen würde das machen!“

Das pummlige Mädchen mit Telefon war über eine Schlampe auf ihren Ali zu sprechen gekommen, eine Schlampe, die nicht ihren Freund nachts besucht, sondern mit anderen jungen Männern „rummacht“. „Und das wo er mich geschlagen hat!“, legt sie nach. Eine betroffene Pause.

„Du neulich, Mustafa ruft mich an, ich geh schon nicht ran, weil, ich krieg immer schlechte Laune, wenn er mich anbrüllt, wenn ich zu spät bin. Ich also – renn die Treppe rauf und er so: ‚Du gehst jetzt sofort aufs Klo und machst dir die Schminke ab.‘ Ich so: ‚Nö.‘ Ich wär nach Haus gegangen!“

Alis Freundin (mit Telefon überm Herzen) erwidert, das habe sie ein halbes Jahr lang auch gemacht für ihren Ali: ungeschminkt rumlaufen! – „Nee. Das hätt ich nicht überlebt.“ Inbrünstig und wie aus der Pistole geschossen. Diese Freiheit lassen sie sich nicht nehmen.