AUSGEHEN UND RUMSTEHEN VON ULRICH GUTMAIR
: Liebe dein Symptom wie dich selbst? Vergiss es, Slavoj!

Sie hasst den Funk aus gutem Grund: Eine tückische Halsmuskelverspannung entzieht sich mit fiesen Tricks ihrer House-Therapie

Kurze Muskeln machen dumm! Hieß es am vergangenen Freitag in der Frankfurter Allgemeinen, die ich zum Mittagessen las. Dort erklärte Uli Eicke, seines Zeichens Olympiasieger im Einer-Kanadier, heute Heilpraktiker, welche Verheerungen die Lebensumstände, die er so knapp wie korrekt den „täglichen Wahnsinn“ nennt, an Körper und Geist anrichten. Denn verkürzte Muskeln verursachen nicht nur Schmerzen. Eicke etwa berichtet davon, wie er seinen starken Tinnitus mit Halsmuskeltraining therapiert hat. Das war vorausschauend, denn wenn wir ihm glauben wollen, führt eine verkürzte Halsmuskulatur zu einer Einschränkung der Denkfähigkeit, eine These, die ich sofort unterschreiben kann und die direkt ins Herz dieser Kolumne trifft.

Ich kehrte nach meiner Lektüre gesättigt, aber mit weiterhin steifem Hals an den Schreibtisch zurück, den ich für meine zunehmende Verdummung ursächlich verantwortlich mache. Ich checkte meine Mails nach den am Abend zu erwartenden Sensationen in der Panoramabar, weil ich seit jeher den Funk einer ordentlichen Housenacht jedem anderen Tanzvergnügen vorziehe. Zwar kann ich mich anfangs nicht so geschmeidig wie gewünscht bewegen, das legt sich aber recht schnell. Wenn alles gut geht, hat man nach einer Nacht im Club nicht nur Flexibilität im Nackenbereich zurückgewonnen, sondern auch der muskulär bedingten Verblödung wenigstens für den Moment ein Schnippchen geschlagen. Doch für den Körper gilt dasselbe wie für den Geist. Denn wie ich einst im berühmten Mervebändchen von Slavoj Žižek („Liebe dein Symptom wie dich selbst!“) gelernt habe: Das Symptom lebt von der Energie, die ihm zugeführt wird, es will sich selbst erhalten. Handelt es sich bei ihm um eine Halsmuskelverspannung, muss es sich auch keine Sorgen machen, denn es hat seinen Wirt bestens im Griff. Im Alter dann kann dieses Symptom seinen Triumph so richtig auskosten, wie Uli Eicke drastisch deutlich macht: Manche Senioren verstünden im Zustand der fortgeschrittenen Verspannung die Übungen gar nicht mehr, die man ihnen zur Linderung derselben anempfiehlt.

Aber zurück zur Abendplanung: Die für die Panoramabar angekündigten DJs sagten mir nichts, worauf ich mich entschied, die Sache sein zu lassen. Schließlich war abends ohnehin gemeinsames Essen mit Freunden angesagt, das gute Unterhaltung auch für beinah hirntote Nackenzombies wie mich versprach. Unter den Gästen befand sich die Londoner Perfomancekünstlerin Marcia Farquhar, die einmal mehr durch grandios vorgetragene Vignetten aus ihrem Alltag zu überzeugen wusste. Ihre ganze Familie war kürzlich durch ein jämmerlich-autistisches Krächzfauchen im Garten aufgeschreckt worden. Katze Mosh saß in ihrer eigenen Angstscheiße, zitterte am ganzen Körper und war mit Speichel besudelt. Der Vergewaltiger hatte sich davongemacht. Ihr Zustand schien sich kaum zu bessern, woraufhin Marcia die Einschläferung der 19 Jahre alten Katzenoma in Betracht zog. Doch die Tierärztin beruhigte: Abgesehen von einer Arthrose in der Hüfte gehe es der Katze dem Alter entsprechend gut. Ich vermute, ihr Nacken ist noch tipptopp.

Den Rest des Wochenendes verbrachte ich mit Tochter, einem befreundeten Säugling und dessen Eltern in Wassernähe, was meinem Nacken ein wenig Entspannung verschaffte. Dass das Symptom längst einen weiteren heimtückischen Sieg davongetragen hatte, erfuhr ich per Handy: Nein, heute habe er nichts vor, sagte Aram, er sei am Freitag bereits ausgegangen. Dial-Abend in der Panoramabar. Höhepunkt des überaus gelungenen Abends sei der Auftritt Thomas Meineckes gewesen.