Konter-Ayran und frierender Mokka
: Zwischen Sterni und Buchregalen

SONJA VOGEL

Seit einer geschlagenen Stunde schon sitzen wir in einem der türkischen Cafés auf der Karl-Marx-Straße. Eigentlich waren wir gar nicht mehr zu Hause gewesen. In Zeitlupe dreht Freund B. ein zähes Käseomelett um die Gabel. Katerfrühstück. Der süße Mokka trägt ein Deckelchen mit halbmondförmigem Griff und roter Quaste, damit er nicht friert. „So cute!“, sagt mein Begleiter mit rauer Stimme. Dann kippt er einen Konter-Ayran.

Es ist Freitagmorgen. Die ganze Woche über hatten wir uns aufgespart und waren dann doch schwach geworden. Gestern war es spät gewesen. Sehr spät. Die Sonne kneift und im Fenster des Cafés spiegelt sich eine Armada verpackter Backkartoffeln. Ich schließe die Augen. Mein Freund, erst vor drei Jahren vom Balkan nach Berlin gekommen, schüttelt den Kopf: „And they call you Kartoffeln!“

„Filterkaffee?!“

Langsam folgen wir dem Lauf der Sonne ins Café Rix. Vorbei am Bubble-Tea-Laden und Picaldi. B. ist überzeugt, die Grenze zwischen Orient und Okzident verläuft irgendwo hier. Am Nebentisch des Kaffeehauses unterhalten sich zwei Männer auf Türkisch. Sie ordern Kaffee. „Filterkaffee?“, fragt die Bedienung. „Filterkaffee?!“, fragen die beiden entgeistert. B. lächelt. Ohne zu zahlen verschwindet er gen Westen.

Am Abend gibt es einen Empfang in Mitte. Ich hatte versprochen, hinzugehen. „War doch irgendwie interessant“, sagt mein Begleiter, als wir die Häppchen erreichen. Vergeblich sucht er ein Bier zwischen Saft und Wasser. „Müssen wir immer trinken?“, frage ich ihn. „Vor allem schnell!“, antwortet der bloß.

Gegen 23 Uhr dann stehen wir im Niemandsland zwischen Hauptbahnhof und Potsdamer Platz. Spätifreie Zone. „Ein Bier wäre schön“, murmelt mein Begleiter. Dabei legt er den Kopf schief und lächelt. „So cute!“, denke ich und erkläre mich bereit, Getränke zu besorgen. Nächste Station: Hauptbahnhof. Ausgerechnet. Rolltreppe hoch. Rolltreppe runter. Rechter Aufgang. Linker Aufgang. Ein Dönerladen. Efes.

Wir sitzen am Ufer und schauen auf den Reichstag. Gluck, gluck, macht die Spree und gluck, gluck macht das Bier. Rechts neben uns hört eine Gruppe Halbstarker HipHop. Kakofon scheppern die Smartphones. Irgendein Backpack-Reiseführer muss sie in diese tote Gegend geführt haben. Das Kanzleramt sieht aus wie eine Großraumdisko. „Wir freien Journalisten sind die Armleuchter der Republik“, sagt mein Begleiter. Und dann: „Morgen hab ich Frühschicht.“

Die samstägliche Tour durch die Neuköllner Kneipen ist schnell erzählt. Ich startete im neuen Laden am Boddinplatz. Eine Kollektivkneipe mit Sterni und Buchregalen: Laidak. Und da bleibe ich auch. Im Laidak habe ich keinen Koffer. Aber einen Deckel. Der ist vom letzten Mal. Und das, was ich über die Gasträume verteilt habe liegen lassen: ein Buch, ein Brief, ein Schlüssel.

Mindestens 50 Menschen drängeln sich in den verqualmten Räumen. Keine 300 Meter weiter wummert der neue Club in der Kindl-Brauerei. Weil die Hipster den Eingang nicht finden, sitzen hier neben Frauen in Trainingshosen und durchgepiercten Schlumpfträgern auch schlanke Männer mit Oberlippenbart. „Cool“, sagt einer. „Da stehen Bücher im Regal.“ Dann stellt er das Pamphlet von Otto Weininger zurück zur Stalin-Biografie. Über ihm hängt eine Tafel. „Der ausbeutende Stil führt im Extremfall zu Aufmerksamkeitsdefizitssyndromen“, steht da in krakeligen Lettern. Ein deutscher Zeitungsmacher hat das gesagt. Der Spruch hängt da wie ein Menetekel und ist furchtbar blöd. Ich gehe.

Zu Hause suche ich in der Manteltasche nach dem wiedergefundenen Brief. Und finde ihn nicht. Die Taschen sind auch komisch. Moment. Ist gar nicht mein Mantel. Jetzt habe ich einen Mantel im Laidak.