Es geht auch ohne Stürmer

Platz sieben bis neun war zu Saisonbeginn das Ziel von Hertha BSC: Am Ende verpasst die Truppe um Superstar Marcelinho nach einem Ausflug in die tiefsten Gefilde knapp die Champions League. Die Bilanz einer unspektakulären, aber soliden Saison

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Platz vier. Hertha BSC ist die Rückkehr in das internationale Geschäft gelungen. Mit einer unspektakulären, aber soliden Saison haben sich die Berliner in der nationalen Spitze zurückgemeldet – auch wenn es zum Sprung in die Champions League nicht gereicht hat.

Die Vorbereitung

Falko Götz trat im vergangenen Sommer die Nachfolge von Hans Mayer an, der die Berliner vor dem Abstieg gerettet hatte. Dem neuen Trainer schlug in der Hauptstadt eine Welle der Sympathie entgegen, obwohl er bei 1860 München gescheitert war und vorzeitig entlassen wurde. Mit dem türkischen WM-Dritten Yildiray Bastürk und dem brasilianischen Nationalspieler Gilberto verstärkte sich Hertha vor allem im Mittelfeld. Das Saisonziel wurde mit Platz sieben bis neun eher bescheiden formuliert. Der Kaiser war äußerst skeptisch. „Ich traue es den Berlinern in dieser Saison nicht zu, sich wieder in der Tabelle nach oben zu kämpfen!“, ließ Franz Beckenbauer via BZ verkünden.

Der Tiefpunkt

Am sechsten Spieltag der Saison kommt Hertha da an, wo der Club in der Vorsaison regelmäßig stand: auf einem Abstiegsplatz. Nach der Niederlage beim Hamburger SV fanden sich die Berliner auf Platz 16 wieder. Sie hatten noch kein Spiel gewonnen. Wird es wieder eine Katastrophensaison? Auf der Geschäftsstelle bleibt man erstaunlich ruhig. Eine Trainerdiskussion findet nicht satt. Bis auf die Boulevardblätter sind sich alle sicher, dass Hertha sich wieder aufrappeln wird. Ausgerechnet bei der Niederlage in Hamburg hat Hertha seine beste Saisonleistung gezeigt. Kommentar Falko Götz: „Bis auf das Resultat hat alles für uns gesprochen.“

Die Stürmerfrage

Mit vier Stürmern im Kader begann Hertha BSC die Saison. Am Ende der Spielzeit kommen die Männer Fredi Bobic, Nando Rafael, Guiseppe Reina und Artur Wichniarek gerade einmal auf zehn Tore. Davon hatte allein Rafael sechs Stück erzielt. Bobic und Wichniarek wurden mehr und mehr Opfer des Spotts der Fans. Zu Saisonbeginn, als es nicht gut lief für Hertha, wurde die Stürmerfrage heiß diskutiert. Die BZ spricht von „Tor-Allergie“ bei den Angreifern. Am Ende der Saison redet kaum mehr einer davon. Es geht offensichtlich auch ohne Stürmer.

Auswärtssiege

Nach dem schlechten Start fing sich die Mannschaft schnell. Mit einem Sieg beim FC Kaiserslautern beendete Hertha die erste Minikrise der Saison. Bis zum Ende der Hinrunde folgten vier weitere Auswärtssiege. Die Abstiegsränge waren schon bald in sicherer Entfernung. Nur bei den Heimspielen will es gar nicht so richtig laufen. Gegen Bremen und Rostock gelingt der Ausgleich erst in der allerletzten Minute. „Nachspielzeit kann Hertha gut“ schreibt die Berliner Zeitung.

Marcelinho

Wieder einmal war der Brasilianer der erfolgreichste Torschütze der Hertha. Der beste Vorbereiter war er auch. Es war eine herausragende Saison, die Marcelinho gespielt hat. Etliche Spiele sind durch seine Eingebungen und seine Treffsicherheit entschieden worden. Um das zu ermöglichen, spielt die ganze Mannschaft für den schrillen Brasilianer. „Planet mit zehn Satelliten“, nannte die Süddeutsche Zeitung das System Marcelinho. Der Planet war in diesem Jahr so überzeugend, dass nicht einmal sein von Feiern und Schuldenanhäufen geprägtes Privatleben zum Problem wurde.

Die Zuverlässigkeit

Waren es in der Hinrunde vor allem die Auswärtssiege, die Hertha einen Platz in der oberen Tabellenhälfte einbrachten, war es in der zweiten Saisonhälfte die Beständigkeit, die die Berliner immer weiter nach oben klettern ließ. Die so genannten Pflichtsiege brachten Hertha in den Bereich der Europapokalplätze. Das war nicht immer schön anzusehen, erfolgreich war es allemal. „So gewinnen auch die Bayern ihre Spiele“, meinte ein rundum zufriedener Andreas Neuendorf nach einem 3:0-Sieg gegen Arminia Bielefeld.

Champions League

Lange Zeit gab es einen absoluten Tabu-Ausdruck bei Hertha BSC: Champions League. Alle Spieler hielten sich an die Vorgabe des Clubs und mieden die Wörter wie ein von Fredi Bobic geschossener Ball das Tor. Erst nach dem Sieg am 30. Spieltag gegen Schalke 04 änderte sich das. Endlich redete Falko Götz Klartext: „Es wäre Blödsinn, jetzt nicht auf die Champions League zu schauen.“ Die Berliner fingen an, an sich zu glauben. Und verloren prompt gegen Rostock. Die zwei Nullnummern am Ende der Saison gegen Gladbach und Hannover zeigten, dass Hertha noch nicht reif ist für den Sprung nach ganz oben.