Traurig nach Europa

Nach dem 0:0 gegen Hannover trauert Hertha BSC über Platz vier und die Teilnahme am Uefa-Cup

BERLIN taz ■ Es war dann doch Viertel nach fünf geworden, und auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions verteilt saßen lauter blau-weiße Häuflein voller Elend. Ein hochgewachsener Mann mit schütterem Haar schritt die einzelnen Häuflein ab, eines nach dem anderen. Er streichelte hängende Köpfe, klapste Schultern und sprach Worte der Aufmunterung. Einem Notarzt gleich leistete Dieter Hoeneß erste Hilfe an den verletzten Seelen der blau-weißen Häuflein, was harte Arbeit war. Als der Manager von Hertha BSC die moralische Notversorgung seiner Fußballer zu Ende gebracht hatte, sah auch er sehr mitgenommen aus. Hoeneß sagte: „Ich hätte auch Trost gebraucht.“

Noch gibt es ihn nicht für den Tabellenvierten der gerade beendeten Bundesligasaison, jedenfalls nicht in ausreichendem Maße. Dafür waren sie denn doch zu knapp gescheitert an der Qualifikation zur Champions League, zu der ihnen letztendlich ein einziges Sieg bringendes Törchen im letzten Heimspiel gegen Hannover 96 fehlte. „Es wird sicher den ganzen Urlaub dauern, das zu verarbeiten“, befürchtete „Zecke“ Neuendorf. Abwehrchef Dick van Burik prophezeit gar längere Nachwehen: „Das wird in der neuen Saison jedes Mal aufs Neue hochkommen, wenn ich im Fernsehen die Champions-League-Hymne höre.“ Auch Dieter Hoeneß, der Notarzt, war sich im Klaren darüber, „dass wir jetzt nicht einfach so den Schalter umlegen können“.

Der Manager aber war es auch, der als Erster dazu ermahnte, den Tatsachen ins Auge zu sehen. „Man muss bedenken, wo wir herkommen“, erinnerte Hoeneß an die letzte Saison, in der Hertha mit Müh und Not dem Abstieg von der Schippe gesprungen war. Und wer der Aufforderung des Managers nachkam, musste sich automatisch der Absurdität des Augenblicks bewusst werden: Denn just vor einem Jahr hatten Spieler wie Fans den Nichtabstieg wie den Gewinn der Meisterschaft befeiert. Nun ließ die Hertha-Belegschaft das Erreichen des Uefa-Pokals zu Trauerklößen mutieren.

Mehr als wahrscheinlich, dass Trainer Falko Götz aus diesem durchaus guten Grund „gar nicht über das Spiel reden“ wollte („Wir wissen, dass wir Fehler gemacht haben.“), sondern als Alternative vorschlug, „über die ganze Saison“ zu sprechen. Die war in der Tat nicht wirklich schlecht verlaufen für die Berliner, die nicht nur die wenigsten Gegentreffer (31), sondern nach den Bayern auch am seltensten als Verlierer vom Platz mussten (6-mal). Hinzu kommt, dass Marcelinho, vom TV-Sender Premiere vor der Partie zum Kicker der Saison gekürt, im Türken Bastürk endlich einen kongenialen Spielpartner an seiner Seite weiß, was das Mittelfeld der Hertha zu einem der spielstärksten der Liga hat werden lassen (auch wenn beide gegen Hannover blass geblieben waren). So richtig Sorge bereitet den Hauptstädtern lediglich die Abteilung Attacke, doch auch hier bahnt sich Besserung an: Fredi Bobic (1 Saisontor) muss den Verein verlassen, für ihn soll endlich ein echter Stürmer verpflichtet werden.

„Platz drei hätte es leichter gemacht“, sagte Dieter Hoeneß, und sprach damit den kausalen Zusammenhang zwischen Millionen bringender Champions League-Teilnahme und Neuverpflichtung an. Andererseits hätte selbst Rang drei lediglich die Qualifikation zur Zasterliga gesichert, was durchaus auch Verlockungen samt Gefahren birgt: Jene zum Beispiel, großzügiger zu investieren, Champions-League-mäßig eben – und am Ende in der Qualifikation hängen zu bleiben und doch wieder im Uefa-Cup zu landen. Für einen ohnehin mit 19 Millionen Euro in der Kreide stehenden Klub wie die Berliner Hertha könnte daraus leicht eine Harakiri-Abenteuer werden.

Vielleicht hat Dieter Hoeneß auch an solcherlei gedacht, als er später am traurigen Abend versprach, „nicht den Weg von Borussia Dortmund“ einschlagen, sondern „nur ein kontrollierbares Risiko“ eingehen zu wollen. „Wir müssen jetzt noch mehr abwägen“, schlussfolgerte der Manager – und irgendwie hatte dieser Satz nicht nur für die wirtschaftlichen Dinge seine Gültigkeit, sondern schon auch für die emotionalen. Dass sich mancher Spieler am Samstag damit noch schwer tat, bewies Marcelinho. „Wir sind alle traurig. Aber wir sind auch ein bisschen glücklich“, sagte der Brasilianer.

FRANK KETTERER