Burschenschafter wollen nüchtern sein

Es ist das größte Treffen schlagender Burschenschaften in Deutschland. Auf ihrem Verbandstag am Wochenende in Eisenach wollten sie einfach nur über Hochschulpolitik diskutieren. Doch die alten Traditionen brechen immer wieder durch

AUS EISENACH SASCHA TEGTMEIER

Prosaischer geht’s nimmer: Eine ausgediente Handballhalle muss herhalten für das größte Treffen schlagender Burschenschafter in Deutschland. 1.500 Vertreter aus 140 Verbindungen sind nach Eisenach gekommen, und dabei sein darf – fast – jeder, der sich deutsch fühlt, Österreicher und Chilenen inbegriffen. Nur Frauen sind ausgeschlossen. „Bei uns haben wir auch einen stadtbekannten Schwulen“, sagt stolz Roman von Marchia Bonn.

Der „Burschentag 2005“, der nach fünf Tagen gestern zu Ende ging, widmet sich so seriösen Themen wie dem Haushalt der Organisation und der Hochschulpolitik – und der Widerlegung öffentlicher Vorurteile. Rechte Deutschtümeleien? Infantiles Saufen? Archaischen Fechttraditionen? Frauen- und ausländerfeindliche Reglements? Karriereorientierte Klüngeleien? „Wir sind eine demokratische, pluralistische Vereinigung, die lediglich an Traditionen anschließt“, sagt Benedikt Fahrland. „Ich bin Nationalist“, sagt der 26-Jährige knapp. Und beeilt sich zu sagen: „Mit Nazis hat das nichts zu tun.“ Mit seiner rot-silber-schwarzen Schärpe, die sich quer über den Oberkörper zieht, sitzt er in einem historischen Dampfzug, an den Fenstern ruckelt die grün-hügelige Landschaft vorbei, die Fahrland „Mitteldeutschland“ nennt oder auch einfach „mein Vaterland“.

Der Ausflug per Eisenbahn ins benachbarte Jena ist Teil des Unterhaltungsprogramms, nur einen geplanten „Rückmarsch mit Fackeln“ zum Bahnhof hat das Ordnungsamt verboten. Einige Zugabteile weiter pflegen Fahrlands „Bundesbrüder“, die er förmlich mit „Sie“ anspricht, den deutschen Brauch des Biertrinkens. „Das geistige Getränk gehörte schon immer zur geistigen Elite“, sagt einer entschuldigend. „Die benehmen sich wie Schweine auf dem Felde“, sagt eine Eisenacherin zu dem jährlichen Spektakel.

Von einer liberalen Öffentlichkeit vielfach angefeindet, sehen sich die Burschenschafter zur permanenten Verteidigung genötigt. Sosehr sie sich mit ihren Schärpen, Fahnen und Waffen, intern „Schläger“ genannt, selbst ausgrenzen, so dringend wollen sie doch gesellschaftlich anerkannt werden. Nicht nur mit ihrem „stadtbekannten Schwulen“ brüstet sich darum die Gemeinschaft. „Ich bin Sozialist“, sagt ein Burschenschafter auf der Zugfahrt ungefragt. Fühlen sich nicht auch NPDler von dem Dreiklang „Freiheit, Ehre, Vaterland“ angezogen? „Die werden von der Burschenschaft enttäuscht“, meint der selbst ernannte Sozialist. Auch das Prädikat der Ausländerfeindlichkeit möchten die Burschenschafter entkräften. Schnell ist dafür Gian Carlo D’ottone zur Stelle, einer von 85 „deutschen Burschenschaftern“ in Chile. „Ich bin stolz darauf, Chilene zu sein, aber bekenne mich auch zur deutschen Kultur“, sagt der 21-Jährige.

„Wir sind auch Deutsche“, sagt ein Österreicher. Er trägt eine Lederhose, und sein Gesicht ist mit blutverkrusteten Schnitten übersät. Die Vokabel „Großdeutschland“ führen viele mit Selbstverständlichkeit im Mund. Verbindungen zur Naziszene alt oder jung weisen die Burschenschaften aber weit von sich – das sei ein Missverständnis. Dem erliegt wohl auch ein alkoholisierter Mann, der bei der Ankunft am Bahnhof den rechten Arm in die Höhe streckt.

Wegen ebendieser Aura ist auch die CDU-Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld in die Kritik geraten, die in Jena die Festrede hält.

Der Generalsekretär der Thüringer CDU, Mike Mohring, hatte Lengsfeld vorher in der Thüringer Allgemeinen noch zur Distanz ermahnt: „Ich hoffe, Frau Lengsfeld vergisst nicht, dass sie auch Stellvertreterin der Gesamtpartei ist.“ Die ehemalige Bürgerrechtlerin Lengsfeld reagiert darauf trotzig. „Ich spreche vor wem ich will und wann ich will“, eröffnet sie ihre Festrede. Rechtskonservativ dürfe nicht mit rechtsextrem gleichgesetzt werden. Neben ihr sitzen die Vertreter der Burschenschaft „Normania-Leipzig zu Marburg“ in roter Festkleidung, dem Chargenwichs, und strecken ihre Waffen, „Prunkglocken“ genannt, nach vorn. Lengsfeld kommt in ihrer Rede von den „notwendigen Reformschritten“ auf die „ehemaligen Staatsfeinde, die heute an der Regierung sind“, und geißelt schließlich das falsche „Anspruchsdenken“ der Deutschen. „Wir brauchen einen Geist, der der Versorgungsmentalität entgegensteht“, ruft sie zum Bündnisschluss, „diesen Geist finden wir in Ihren Werten.“

Für ihre Werte, scheint es, müssen sich die Burschenschafter stets rechtfertigen. Am Tag nach dem Festakt will Nils von der „Marchia Bonn“ mit Vorurteilen aufräumen. Dass Frauen nicht aufgenommen werden, sei nicht chauvinistisch. „Das gäbe einfach zu viel Konfliktpotenzial“, sagt der 28-Jährige. Nils möchte nicht mit den Rechten gleichgesetzt werden – denn er wählt schon immer die SPD.

In der Eisenacher Turnhalle diskutieren sie da gerade über die Frage, wer für die Kosten bei Fechtverletzungen aufkommt.