Episches Pingpong

TISCHTENNIS Das ewige Hin und Her ist längst Geschichte. Bei der WM zählen die Schiris die Ballwechsel mit

DORTMUND taz | Den Spanier Carlos Machado hat Timo Boll bei der WM in Dortmund in 19 Minuten von der Platte gefegt. Die drei Sätze dauerten alle um die fünf Minuten. Das deutsche 3:0 über Singapur war am Montagabend nach rund eineinhalb Stunden beendet. Die „kurze“ Zeit hätten sich die Zuschauer 1936 bei der WM in Prag zwischen Aloizy Ehrlich und Farkas Paneth gewünscht – wohlgemerkt bei einem Ballwechsel! Dieser Marathon dauerte zwei Stunden und zwölf Minuten! Deswegen wurde bei der nächsten Weltmeisterschaft vor 75 Jahren das „Zeitspiel“ im Tischtennis eingeführt.

Die schlimmste Folter erlebten die Zuschauer in Prag gleich beim ersten Punkt zwischen Aloizy Ehrlich und Farkas Paneth. Der Pole agierte gegen den Abwehrstrategen aus Rumänien betont vorsichtig. Die Legende erzählt, der Ball sei dabei mehr als 10.000-mal übers Netz geflogen. Zehn Schiedsrichter wurden angeblich verschlissen. Ehrlich habe sich die 172 Minuten damit verkürzt, Würstchen mit Senf zu verdrücken – und spielte auch noch aus Langeweile eine Partie Schach! Damit das Handgelenk locker blieb, wechselte er auch regelmäßig den Schläger von der Linken in die Rechte und zurück. Paneth soll derweil jeden seiner Unterschnittbälle mit einer Kniebeuge verbunden haben. Der epische Ballwechsel endete aus Versehen: Ehrlich retournierte erstmals auf die gegnerische Vorhand, weshalb der überraschte Paneth verschlug. Der zweite Ballwechsel war dann schon nach 20 Minuten vorbei. Die WM, die zur Einführung des Zeitspiels führte, war reich an Kuriositäten: Das Damen-Finale zwischen Österreich und Rumänien begann sonntags und ging bis mittwochs. Zwischen dem Franzosen Michel Haguenauer und Marian Goldberger entschied nach mehr als sieben Stunden im fünften Satz eine Münze über Sieg und Niederlage.

Das Zeitspiel greift seit den auf elf Punkte verkürzten Sätzen nach zehn Minuten. Dann wechselt der Aufschlag jedes Mal, und der Aufschläger muss spätestens mit dem 13. Ball den Punkt erzielen – ansonsten geht dieser an den Kontrahenten. Angesichts der schnellen Beläge kommt dies in der Westfalenhalle höchst selten vor. Die Referees müssen höchstens mal bei zwei Abwehrspielerinnen die Ballwechsel laut mitzählen, wenn die schlechtesten der 118 Herren- und 91 Damen-Nationalteams aufeinanderprallen. HARTMUT METZ