Kein Grundrecht auf Strom

7.300 Haushalten wurde 2004 der Strom abgestellt, weil die swb rigoroser gegen säumige Kunden vergeht. Nun muss eine Bremerin 120 Euro zahlen – wegen Stromklau

Bremen taz ■ Die Idee zum Stromklau kam am 9. September 2003 auf, im Fernsehen lief Fußball – Deutschland gegen Island. Auch der Sohn von Angela S. wollte das Spiel gerne sehen. Das Problem nur: Der Energieversorger swb hatte der 46-Jährigen den Strom abgestellt, weil die Arbeitslose den monatlichen Abschlag, der nach ihren Angaben 260 Euro betrug, nicht mehr bezahlen konnte. Kurzerhand behalf sich der 16-Jährige selbst: Er warf ein Verlängerungskabel über die Balkonbrüstung im ersten Stock und zapfte im Waschkeller die Steckdose der Nachbarn an.

Gestern musste sich Angela S. nun vor dem Bremer Amtsgericht verantworten – wegen „Entziehung elektrischer Energie“. Die Angeklagte schob alle Schuld auf ihren Sohn: „Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen.“ Die Tage ohne Strom habe sie bei Freunden und Verwandten verbracht, um sich dort aufzuwärmen, zu baden und zu essen. „Abends saß ich bei Kerzenlicht zu Hause in der Kälte.“

So wie S. ging es im vergangenen Jahr mehr als 7.330 BremerInnen – Tendenz steigend: Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres sperrte die swb fast 3.000 Haushalten den Strom ab, so swb-Sprecherin Angela Dittmer. Fast zehn Millionen Euro fehlten allein 2004 in den Kassen der swb, weil Rechnungen nicht beglichen wurden.

Seit dem vergangenen Herbst geht der Energiekonzern deshalb „wesentlich rigoroser“ gegen säumige Zahler vor, bestätigt Irmgard Czarnecki von der Verbraucherzentrale Bremen. Gemahnt wird nur noch einmal, schon zwei Wochen später kommt der Inkassobeauftragte, dreht den Saft ab und verplombt die Sicherung. Kostenpunkt: 80 Euro.

Bei der swb feiert man diese Maßnahmen als Erfolg: „Die Zahlungsmoral wächst“, sagt Dittmer, „die Höhe der einzelnen Außenstände nimmt ab.“ Dennoch stieg die Zahl der Stromsperren von 2003 gegenüber dem Vorjahr um rund 2.000 an.

„Juristisch kann man dagegen nichts unternehmen“, so Czarnecki. Ein Grundrecht auf freie Stromversorgung gebe es hierzulande nicht, Amtsrichter Peter Mertens verhandelt den Stromklau der Familie S. als Diebstahl.

Wie oft S. 2003 bei ihren Nachbarn Strom abgezapft hat, ließ sich gestern vor Gericht ebenso wenig klären wie die Frage, welche Mehrkosten die übrigen Mieter zahlen mussten. Mertens schätzte den finanziellen Schaden jedoch als „gering“ ein. Am Ende wurde das Verfahren eingestellt – gegen Zahlung einer Geldbuße von 120 Euro. mnz