„Und jetzt gratuliere ich!“

„Wie im Circus Maximus“: Der Neuwahlen-Coup von Schröder und Müntefering überraschte die Fernsehsender kalt – und sorgte so für einige wunderbare Brüche in der Wahlroutine

ARD

Für 20 Uhr war Schröders Statement angekündigt. Schon vorher fragte man sich: Wie machen die das jetzt bei der „Tagesschau“, lassen die sich von Schröder die Tagesshow diktieren oder wartet Schröder, bis Susanne Daubner ihren ersten Aufsager losgeworden ist? Nein: Die „Tagesschau“ meldete erst mal gepflegt langweilig, dass die SPD in NRW verloren, die CDU mit Rüttgers neuen Ministerpräsidenten stellen wird blabla. Wir zappten hektisch zum ZDF. Da quasselte aber auch nur der Politikwissenschaftler Korte. Also wieder zurück zur ARD. Die waren immer noch in NRW, hatten noch nicht gemeldet, dass Neuwahlen angekündigt seien. Schließlich war der Zweifel zu groß: Wartet Schröder so lange?

Nein, er wartete nicht. N-tv und Phoenix hatten ihn längst live drauf. Er war quasi schon fertig mit seinem Statement und hob an, die Bühne zu verlassen. Zurück zur ARD. Die schalteten gerade zu Thomas Roth, der wissend ankündigte, dass Schröder in diesen Augenblicken vor die Presse treten wolle … um sich dann beim Blick auf den Monitor zu korrigieren: „Wenn ich das richtig sehe, hat er das gerade getan!“ Autsch. Ja. Dann dauerte es noch bis circa 20.06 Uhr, bis irgendwer in der „Tagesschau“ mal die eigentliche politische Sensation ausführlicher erklärte, nämlich dass es Neuwahlen in Berlin geben wird. agx

Sehr hübsch dagegen agierte Frank Plasberg, der innerhalb der „Tagesschau“ die Runde der NRW-Spitzenkandidaten moderieren durfte: Dass außer Bärbel Höhn (B90/Grüne) niemand seine Fragen beantwortete, irritierte den ungerührten Weiterfrager wenig. Medien müssen Politikern auch nicht unbedingt zur Wahl gratulieren, doch FDP-Spitzenkandidat Ingo Wulf bedankte sich schon mal prophylaktisch für gar nicht ausgesprochene Glückwünsche. Plasberg ließ ihn zappeln und rang sich erst ganz zum Schluss zu einem süffisanten „und natürlich gratuliere ich jetzt auch“ durch. stg

ZDF

Den größten Moderatoren-Bock schoss Steffen Seibert ab: Der merkte kurz vor 19.00 Uhr eine Minute lang nicht, dass er auf Sendung war, und beschwerte sich darüber, „im Circus Maximus“ gelandet zu sein. Ist vor der Großbildleinwand am Düsseldorfer Landtag ausgelacht worden. KAN

Phoenix

Die Neuwahlen-Ankündigung von Franz Müntefering war keine halbe Stunde alt, da zeichnete sich schon ab, worauf sich das Fernseh-Volk in den kommenden Monaten freuen darf: Es wahlkämpft an allen Ecken. WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn hatte diesmal den kürzeren gezogen und zeigte sich in der ARD-Generalsekretärs-Runde etwas überrumpelt, hatte man doch kaum die aktuellen Hochrechnungen verdaut. Um ihn glänzten als würdiger Laurenz-Meyer-Nachfolger Herr Kauder von der CDU, flankiert vom feixenden Marcus Söder von der CSU. Dumm, dass offensichtlich weder Klaus Uwe Benneter noch seine grüne Kollegin Steffi Lemke vom Neuwahlen-Coup wusste. Der Schwenk zu Phoenix brachte mit der Journalistenrunde dann vergleichsweise amüsante Analyse. Stephan-Andreas Casdorff vom Tagesspiegel attestierte dem Kanzler geradezu machoartige Chuzpe. taz-Chefredakteurin Bascha Mika erinnerte an Schröders Fähigkeit, immer dann am besten zu sein, wenn es am dicksten kommt: ein Hasardeur eben. AMI

WDR

Am pleitigsten war der WDR-Reporter, der zwei Minuten lang wortgewaltig und sensationsheischend Jürgen Rüttgers ankündigte, der in der CDU-Zentrale eine Treppe runterkommen sollte, vor der der Reporter stand. Als die Spannung nicht mehr zu überbieten war, kam Rüttgers tatsächlich die Treppe runter, seine Bodyguards drängten den Reporter in die Ecke und Rüttgers rannte ohne ein Wort vorbei, während man aus dem Off ein hilfloses „Herr Rüttgers, ein Wort für die ARD …?“ hörte. Schönes Sinnbild für die unerträglich heiße Luft auch an diesem Wahlabend. Berg

N24

Plötzlich gab es kein Halten mehr für Michel Friedman und Claus Strunz. Kaum hatte Franz Müntefering baldige Neuwahlen im Bund angekündigt, polemisierten sich die beiden als Wahlanalysten geladenen Politprofis völlig aufgekratzt durchs Live-Programm von N24. Mit wem – höhö – wolle Schröder denn jetzt sein Kabinett umbilden, prustete der BamS-Chef – etwa mit Olaf Scholz? Friedman wieherte: Wenn so ein Neuanfang aussehe – höhö –, könne die SPD gleich einpacken. Dazwischen stand eine hoffnungslos überforderte Moderatorin und lieferte Tränen lachend neue Stichworte für die Muppetshow-Einlage. Dann verabschiedete sich N24 von der seriösen Wahlberichterstattung und zeigte die Doku „Allradantrieb – Die Macht von vier Rädern“. PSR