Börsen finden rot-grüne Politik gut

Die Aktienmärkte reagieren erstaunlich verhalten auf Münteferings Ankündigung von Neuwahlen. Nur große Energieversorger legen deutlich zu – in der Hoffnung auf baldige Rücknahme des Atomausstiegs und weniger Förderung regenerativer Energien

VON KATHARINA KOUFEN

Jetzt geht’s steil bergauf mit den Aktienkursen – das war der Gedanke, der vielen Börsenhändlern das Herz freudig schlagen ließ, als SPD-Chef Franz Müntefering am Sonntagabend Neuwahlen ankündigte. „Das kann fast so eine Reaktion geben wie damals beim Rücktritt von Oskar Lafontaine“, frohlockte ein Marktanalyst beim Broker Lang & Schwarz.

Damals, im Frühjahr 1999, schoss der Deutsche Aktienindex um über 300 Punkte, um mehr als fünf Prozent in die Höhe, nachdem der linke SPD-Finanzminister seinen Hut genommen hatte.

Als dann gestern Morgen der Handel aufgenommen wurde, reagierte die Börse allerdings verhaltener als erwartet auf den Müntefering-Coup. Um knapp ein Prozent stieg der DAX bis zum Mittag und lag am Nachmittag bei knapp über 4.400 Zählern. Kein Vergleich zur Erleichterung über den Abgang von Börsenschreck Lafontaine.

Rüdiger von Rosen, Chef des Deutschen Aktieninstituts, interpretierte dies gestern so: „An der Börse glaubt man nicht so recht, dass das Klima noch sehr viel unternehmerfreundlicher werden kann“, so von Rosen zur taz. Erstens sei die rot-grüne Koalition in Wirklichkeit gar nicht so kapitalismusfeindlich, wie sie in den letzten Wochen die Wähler glauben machen wollte. Und zweitens unterläge eine schwarz-gelbe Regierung denselben Zwängen wie Rot-Grün. Auch ein potenzieller CDU-Finanzminister müsste Haushaltslöcher stopfen, auch sein FDP-Wirtschaftskollege stünde vor der Frage, wie er über fünf Millionen Arbeitslosen zu Jobs verhelfen kann.

Dennoch: Der verhaltene Anstieg der Aktienkurse gestern zeige „eine gewisse Erleichterung darüber, dass die Agonie der Regierung jetzt ein schnelleres Ende findet“, so von Rosen. Besonders die Aktien von Energieunternehmen profitierten von der Ankündigung des SPD-Chefs. Die Papiere der beiden größten Energieversorger, Eon und RWE, legten bis zum Nachmittag um 3,6 beziehungsweise 3,2 Prozent zu. Anleger spekulierten auf geringere Belastungen für die Energiekonzerne, weil eine schwarz-gelbe Regierung höchstwahrscheinlich die Förderung der regenerativen Energien reduzieren würde. Auch von einem möglichen Ausstieg aus dem Atomausstieg würden RWE und Eon profitieren, weil sie ihre Atomkraftwerke länger laufen lassen dürften und somit höhere Erträge einfahren würden.

Umgekehrt verloren die Aktien von Unternehmen, die alternative Energieformen anbieten. Die Papiere von Phoenix Sonnenstrom etwa gaben gestern zeitweilig um bis zu 17 Prozent nach. Auch der Windkraft-Anbieter Repower musste, wie andere aus seiner Branche auch, Verluste hinnehmen.

Für andere Branchen sieht von Rosen weniger Spielraum: „Die Bauwirtschaft wird wegen der demografischen Entwicklung nicht profitieren, da ist egal, wer an der Regierung ist. Und die Automobilhersteller leiden an der schwachen Nachfrage nach teuren Konsumgütern. Da wird sich auch erst mal nicht viel tun.“