OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Natürlich kann man die Filme von Michael Powell und Emeric Pressburger nicht allein auf den spektakulären Einsatz der fantastisch gesättigten Technicolor-Farben reduzieren. Das geht schon deshalb nicht, weil der britische Regisseur und sein aus Ungarn stammender Autor auch sehr schöne und intelligente Schwarz-Weiß-Filme gedreht haben, in denen stets ihr humanistisches Weltbild durchscheint und selbst Propaganda (wie etwa „49 Parallel“, 1941) dem Ideal verhaftet ist, dass sich lernfähige Menschen eigentlich immer verständigen können. Trotzdem erscheint der Eindruck ihrer Farbfilme derart überwältigend, dass sie den Rest des Werks überstrahlen. Es ist deshalb nur logisch, dass für den Auftakt der Powell/Pressburger-Retro im Arsenal mit „Black Narcissus“ (1947) einer jener Farbfilme ausgewählt wurde, der zugleich davon erzählt, welche verführerische Kraft der Farbe innewohnt: „Black Narcissus“ handelt von einer Gruppe Nonnen, die unter der Leitung von Schwester Clodagh (Deborah Kerr) im Himalaja eine Mission einrichten sollen. Das streng reglementierte Leben der Nonnen und ihre weiße Ordenstracht stehen dabei in scharfem Kontrast zu jenen Dingen, die sie bei ihrer Ankunft in den Bergen vorfinden: in sattem Grün leuchtende tropische Vegetation, das Missionsgebäude in strahlendem Blau, ein jugendlicher Prinz in orientalischen Prunkgewändern. Die Farbe rollt über die Nonnen geradezu hinweg, und die Schwestern sind von ihrer Lebenserfahrung her nicht gerüstet, um mit der in ihr Leben einbrechenden Natur umzugehen. Die einseitige und wahnhafte Liebe der Schwester Ruth (Kathleen Byron) zum burschikosen Verwalter Mr Dean wird die Gemeinschaft schließlich an den Rand des Abgrunds bringen. Und wenn Ruth am Schluss ihren roten Taschenspiegel nimmt, um sich die Lippen mit dem roten Lippenstift noch roter zu schminken, wenn sie dann die roten Schuhe anzieht und sich im roten Kleid auf die Suche nach Mr Dean macht, dann zeigen Powell und sein Kameramann Jack Cardiff einen Sonnenuntergang in derart übersteigerten Farben, dass endgültig klar wird, dass nun der Wahnsinn regiert. (Black Narcissus, OF, 1. 4., 49th Parallel, OF, 3. 4. Arsenal)

Die Filme eines anderen Genies präsentiert unterdessen das Lichtblick-Kino: Orson Welles, der in den 1930er Jahren bereits als „Wunderkind“ der Bühne und des Radios reüssiert hatte, erhielt für seinen ersten Film „Citizen Kane“ (1941) vom Studio RKO das seltene Privileg, sein düsteres psychologisches Porträt eines Zeitungsmagnaten so zu drehen, wie er wollte. Ein Glücksfall, denn die puzzleartige Geschichte mit ihren in nicht chronologischen erzählten Rückblenden, der vom expressionistischen Stummfilm inspirierten Gestaltung und den tiefenscharfen Einstellungen von Kameramann Gregg Toland, die das etablierte Schuss-Gegenschuss-Muster aufbrachen, waren vorhersehbar weder nach dem Geschmack der Studiobosse noch nach dem des Publikums. Beim nächsten Film hatte Welles die Kontrolle dann bereits verloren … (31. 3.–1. 4. Lichtblick) LARS PENNING