„Harakiri mit Terminansage“

Der Grüne Werner Schulz findet die Entscheidung für Neuwahlen grundfalsch

taz: Herr Schulz, Neuwahlen im Herbst – eine gute Wahl?

Werner Schulz: Das ist eher eine fixe Idee, eine typische Sponti-Reaktion.

Was ärgert Sie so daran?

Dass der Bundestag zur demokratischen Staffage degradiert wird. Schröder und Müntefering verordnen uns ihre Entscheidung. Die Neuwahl ist kein Befreiungsschlag, sondern Mut der Verzweiflung. Das ist für die SPD Harakiri mit Terminansage.

Wie bei Lafontaine?

Bei dem sind die Sicherungen 1999 ebenfalls durchgebrannt. Damals eine Flucht aus der Verantwortung. Heute grenzt es an Wirklichkeitsverweigerung. Man nimmt die Niederlage nicht an, sondern will sofort die Revanche. Welchen Sinn hat es, am Tiefpunkt der öffentlichen Zustimmung in einen Wahlkampf zu gehen, der die Verhältnisse im Bundesrat nicht ändert?

Hätte Schröder die Agonie bis zum Herbst 2006 riskieren sollen?

Das ist keine Agonie, wir haben doch eine Mehrheit im Bundestag. Wir hätten Geduld haben, die durchgeführten Reformen im Herbst dieses Jahres genau bewerten und dann eventuell nachjustieren müssen.

Wäre das angesichts der Blockade der Union im Bundesrat möglich gewesen?

Die angebliche Blockade ist eine Schimäre. Tatsächlich lehnt die Union gar nicht alles ab, was wir vorschlagen. Gesundheitsreform, Hartzreform, Jobgipfel – all das hat die Union mitgemacht. Und bei der Förderalismuskommission könnten wir durchaus den Konsens erreichen. Das wäre zumindest ein Schritt nach vorn. Wir sind bewegungsfähig, wenn auch nur eingeschränkt. Wenn Schröder diesen Spielraum nicht nutzen will und stattdessen in den Wahlkampf geht, lässt er sich auf ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang ein.

Wie bewerten Sie die rot-grünen Reformen im Rückblick – vor allem Hartz IV?

Ein Teil der Reformpolitik war grundsätzlich falsch. Statt Hartz IV hätten wir eine solide Grundsicherung deutlich über Sozialhilfeniveau einführen sollen. Das hätten die Leute verstanden.

Und mit welchem Geld hätte das bezahlt werden sollen?

Mit dem Geld, mit dem wir die Steuersenkungen bezahlt haben.

INTERVIEW: HANNES KOCH