Ein Tunnel quer durch die Erde

Vier Künstlerinnen und zwei Künstler installieren mit „Inaff“ eine himmelschreiend temporäre Ausstellung. In einem alten Fabrikgebäude erkunden sie in ihren Arbeiten die Welt und ihre Kehrseite wie die Luft, die den Berg ersteigt

Allein wegen „Antipodes“ muss man die Ausstellung in der Greifswalder Straße 38 besuchen. Allein wegen dieser törichten, wunderbaren Kinderidee, die uns alle einmal bewegt hat, und der Jörg Jozwiak, Geostratege und Konzeptkünstler, mit aller wissenschaftlichen Strenge und Hightech-Geräten wie etwa GPS nachgegangen ist. Die Idee ist simpel, aber nicht ohne Tücken: Was würde ich auf der anderen Seite eines Tunnels sehen, der direkt unter mir durch den Erdmittelpunkt getrieben wurde? Was ist genau auf dem Punkt los, der dem Punkt, auf dem ich stehe, entgegengesetzt ist?

Da heißt es erst einmal diesen Punkt finden. In Deutschland gibt es ihn nicht. Antipode ist das Meer. Doch im französischen Zentralmassiv, da fand sich eine Stelle, die der einer anderen auf Pitt Island nahe Neuseeland entspricht. Am Ende fotografierte Jörg Jozwiak in Frankreich einen Sonnenaufgang, während ein Freund zur gleichen Zeit auf Pitt Island die untergehende Sonne fotografierte. So poetisch musste sich unsere naturwissenschaftliche Erkenntnis bestätigen, denn nur zu diesem Zeitpunkt haben die Antipoden beide Licht.

Jörg Jozwiak gehört zu einer Gruppe von Künstlern und Künstlerinnen, die – unter dem Titel „Inaff“ – eine alte Fabrik im Prenzlauer Berg in eine himmelschreiend temporäre Produzentengalerie umgewandelt haben. Nur jetzt, am Wochenende, gibt es also noch Gelegenheit, den großen Auftritt von Maren Maiwalds rasanter Skulptur aus Hanffasern zu bewundern. Teils Reifrock, teils Skelett, vielleicht auch mutiertes Insekt, steht die Figur im Raum. Verwunschen, wie das alte Haus selbst es ist. Aus dieser Atmosphäre hat Gloria Zein Honig gesogen, indem sie den Bau zum Schauplatz schauriger Morde erklärte. Allein, dass eine Nonne hier zu Tode kam! Das freilich hat seinen Grund darin, dass in der Schneiderei, die hier Anfang des Jahrhunderts beheimatet war, Nonnenkleider genäht wurden. Wer den von Gloria Zein gelegten Spuren folgt, erkundet das ganze Haus und eine ganze Mediengeschichte des Kriminalfalls. Und dazwischen wird der Besucher immer wieder glücklich durch Bilder und Skulpturen irritiert.

Jenny Zastrow bewegt sich mit ihrer Malerei-Serie in weißen Eislandschaften, in denen wenige Menschen und weniges, zart Hingesprühtes, Kriegsgerät und Hubschrauber offenbar Fräulein Smillas Gespür für Schnee zu eruieren versuchen. Dass sich auch Xana Kudrjavcev-DeMilners kristalline Farbflächen aus der Landschaftsmalerei ableiten, ist auf den ersten Blick sicher nicht zu erkennen. Doch bei genauerem Hinsehen glaubt man Reste von Perspektiven zu bemerken, die der Landschaft zuzurechnen sind. Und Bildtitel wie „Luft, die die Berge erklettert“ verstärken die Spur.

Jens Heller schließlich malt die Verbindung von Malerei und Konzept wortwörtlich ins das Tafelbild hinein: die vollkommen realistische Darstellung von Wellen und Wolken werden von schreibschriftschönen Begriffen wie „Ausländer“ oder „Frontschwein“ gerahmt.

BRIGITTE WERNEBURG

28./29. Mai, Inaff, Konzepte, Malerei, Objekte, Greifswalder Straße 38, 14–20 Uhr; Vortrag von Jörg Jozwiak zum Antipoden-Projekt, Samstag, 28. Mai, 20 Uhr; Tatort-Führungen von Gloria Zein, Samstag und Sonntag 15, 17 und 19 Uhr