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Theaterstück über Männer von gesternGroße Metapher, kleiner Junge

Zwei Stücke am Schauspiel und am Theater Rampe, beide in Stuttgart, widmen sich den problematischen Männern von gestern, darunter ist Rudolf Steiner.

Die Schauspieler Reinhard Mahlberg und Samuel Santangelo in „Die Erziehung des Rudolf Steiner“ Foto: Thomas Aurin

Wie viele berühmte Denker verlor auch der Reformpädagoge Rudolf Steiner (1861 bis 1925) seine Unschuld. Rassistische und deutschnationale Anklänge in seinen Schriften offenbaren für Le­se­r:in­nen der Spätmoderne längst die Schattenseiten eines Intellektuellen, dessen Philosophie ihren Anfang eigentlich in der Freiheit nahm.

Im Theater einen kritischen Blick auf diesen einst so auratischen Begründer von Waldorfschulen und Anthroposophie zu werfen, wäre zwar erwartbar, aber eben auch ein wenig fade. In der Uraufführung „Die Erziehung des Rudolf Steiner“ am Schauspiel Stuttgart setzt man daher experimentierfreudig auf die schillernden Grundideen des Reformers. Ihnen zufolge verbergen sich hinter der materiellen eine geistige und damit wahre Welt.

Wer allerdings die eine oder andere für den Theosophen wichtige Erkenntnistheorie – von Platons Höhlengleichnis bis hin zu Fichtes und Schopenhauers radikalem Subjektansatz – kennt, weiß: Um zu dieser tiefen Fülle des Daseins zu gelangen, bedarf es eines neuen, die Oberfläche durchdringenden Sehens.

Reflektion über Trug und Wirklichkeit

Das Regiekollektiv Dead Centre hat dafür ein faszinierendes Bühnenkonzept entwickelt. Im Vordergrund, dem profanen Raum, steht ein Junge (Flinn Naunheim). Auf groteske Weise altklug reflektiert er über Trug und Wirklichkeit, Spiel und Realität, während hinter einer durchsichtigen Spiegelfläche diverse Szenen seiner Imagination stattfinden. Wir werden so Szenen aus dem Leben seiner Eltern gewahr, treffen zwischen Aus- und Abblenden auf Nietzsche, einen Kräutersammler und andere für Rudolf Steiner prägende Figuren.

Mittels einer speziellen Tricktechnik wird dabei die kindliche Erzählfigur auf der vorderen Bühne gleichzeitig auf das Hintergrundgeschehen projiziert. Aus dieser permanenten Doppelung entsteht eine Geister­atmosphäre, geschaffen und dirigiert von einem Kind, das sich im Gegensatz zu den desillusionierten Erwachsenen sein Vorstellungsvermögen bewahrt hat.

Wir wohnen letztlich einem märchenhaften Loblied auf die Macht der Fantasie bei. Doch damit nicht genug! Denn diese Inszenierung lässt sich ebenso als eine Großmetapher auf das Thea­ter selbst verstehen. Je mehr der Junge sich ausdenkt, desto mehr Möbel kommen auf das Parkett, die später auch auf der Leinwand durch die Luft schweben. Wie in einem Probeprozess manifestiert sich so allmählich ein innerer Kosmos auf der Bühne, magisch und hellsichtig.

Klischeefigur alter weißer Mann

Während man somit im Schauspiel Stuttgart in metaphysische Sphären vordringt, beschäftigt sich das Theater Rampe wenige Kilometer entfernt mit der profanen Gegenwart. Genauer: mit einem ziemlich festgefahrenen Typus, der seit den Zehner-Jahren in aller Munde ist, nämlich dem „alten, weißen Mann“. Zwischen live gespielten Country-Songs präsentieren Lina Syren und Andreas Vogel Texte zu dieser Klischeefigur. Wir erfahren über ihn, dass er entweder AfD oder gar nicht wählt, E-Autos als seelenlos erachtet, gern vor sich hinrotzt und Frauen aus der Bier-­Werbung geil findet.

Noch deutlicher tritt dessen Chauvi-Attitüde in einem technisch wie sinnbildlich dem Steinzeitalter entspringenden Dia-Vortrag über Mode zutage. Sollen florale Stoffmuster auf schlanken Frauenkörpern die Welt verschönern, diene der Präsentation gemäß die Kleidung von Ü60-Herren nur der Funktionalität.

Mehrzweck- und Anglerwesten mit allerlei Taschen für Werkzeug stehen bei ihnen hoch im Kurs. Praktisch ist hierbei zudem die unauffällige Farbe. Mit ihrer Tarnung kommt man nämlich unentdeckt in den Hobbykeller, wo die Modelleisenbahn auf die feschen Lokführer wartet.

Selten mehr als die angestaubte Karikatur

Auch wenn diese von Aliki Schäfer, Andreas Vogel und Max Braun arrangierte Performance für reichlich Humor und Unterhaltung sorgt, kommt sie nur schwer über die ohnehin angestaubte Karikatur hinaus. Lediglich Video-Intermezzi, in denen Männer zwischen sechzig und neunzig Jahren zu ihrer Biografie und ihren Ansichten interviewt werden, sorgen für etwas Ambivalenz. Manche sprechen über ihre Unzulänglichkeiten beim Tanzen oder im Kontakt mit Frauen, andere über ihre Probleme mit der Partei Die Grünen.

Immerhin hofft auch einer von ihnen, dass die patriarchale Vormachtstellung irgendwann der Geschichte angehören wird. Männer, ändert euch! So lautet der berechtigte Appell dieses aus dokumentarischen, fiktionalen und essayistischen Texten zusammengesetzten Abends. Nur wo bleibt das Theater? Sein Sog und seine Wucht? Ein wenig mehr Dynamik, wie sie dem Schauspiel Stuttgart mit seiner Annäherung an die spirituellen Höhenflüge Steiners gelingt, hätte wohl auch „Old Man (Look at My Life)“ gutgetan.

Gemein haben die beiden noch so unterschiedlichen Darbietungen allerdings, dass sie jeweils den Traum von einem anderen Dasein entfalten. In einer Zeit, die uns aktuell so trostlos und festgefahren erscheint, mutet diese Aussicht auf Veränderbarkeit erfrischend und ermutigend an. Wir sind frei. Und zwar nicht nur auf der Bühne.

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