This is my beautiful house

Ratlose Poplinke auf der Suche nach einem Neuanfang: Am Sonntag endete in der Volksbühne Berlin die Veranstaltungsreihe „ErsatzStadt“

VON DIETMAR KAMMERER

Die Überraschung kam zum Schluss. Als die Teilnehmer am Sonntag zum Abschlusspanel das Podium betraten, berichtete Moderator Markus Müller dem Publikum in knappen Worten: Die CDU habe die NRW-Wahl gewonnen und Müntefering baldige Neuwahlen im Bund angekündigt. Aber das sei jetzt nicht der Gegenstand der Diskussion, man fahre fort im Programm wie geplant. Alles hat sich geändert, zurück zur Tagesordnung? Vielleicht lag es doch am Schreck dieser Meldung, dass die anschließende Diskussion über die Berliner Kulturpolitik bei aller gespielten Coolness zu keinem roten Faden fand.

So ging am Wochenende in der Volksbühne eine „Abschlussppräsentation“ zu Ende, deren Fazit ebenfalls lauten müsste: Wir brauchen einen Neuanfang. Drei Tage lang dauerte die finale Staffel der Veranstaltungsreihe „ErsatzStadt“ über „Repräsentationen des Urbanen“: Ein Themenwochenende wider die Stadt als neoliberalen Themenpark, bestehend aus einem Marathon aus Vorträgen, Performances, Diskussionen, Filmvorführungen und Konzerten. Da war viel von der „Krise der Repräsentation“, von „neoliberaler Subjektivitätsproduktion“ und „kulturellen Praxen der Widerständigkeit“ die Rede. Von Urbanität dagegen wurde kaum gesprochen. Stattdessen musste „Stadt“ regelmäßig für anderes einstehen: wahlweise den „Staat“, die „Globalisierung“ oder gleich die gesamte „Wirklichkeit da draußen“.

Unfreiwillige Helfer

Das „Verschwinden der Stadt“, wie es im Programmheft hieß, in den Diskussionsrunden manifestierte es sich in einem auffälligen Theorievakuum. „Wir wissen nicht mehr, was das ist: die Stadt“, gestand denn auch der Stadtforscher Brian Holmes seine Ratlosigkeit ein und umriss damit das Problem, auf das auch Eyal Weizman und Bart Lootsma, seine Partner auf dem Podium, keine Antwort wussten: Wie eine künstlerische Kritik an Zuständen formulieren, deren Logik bis in die künstlerische Praxis selbst hineinreicht?

Denn eines ist sicher: Die „kreative Klasse“ sei vom „neoliberalen Projekt“ längst zu unfreiwilligen Helfern auserkoren worden, lautete der Tenor. Im Stadtmarketing ist Subkultur als Standortfaktor vorgeschrieben. Das funktioniere, so Holmes, nach dem Prinzip der Impfung: Die kontrollierte Dosis künstlerischer „Unruhe“ soll den Ausbruch allgemeiner Unruhen verhindern helfen. Was also ist dieser Situation noch abzutrotzen? Eine „neue Kritik“ forderte Holmes, Weizman klagte dagegen eine „Kritik der Kritik“ ein. Am originellsten preschte Lootsma vor, der sich „vor der neuen Kritik eine neue Theorie“ wünschte und tatsächlich bis dahin für „mehr und bessere Bürokratie“ plädierte.

Seit knapp drei Jahren bot die „ErsatzStadt“, ein Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes, eine Plattform für kritische urbanistische Debatten. Unter anderem entstanden in diesem Rahmen die Publikationsreihe „metroZones“, Konferenzen, Ausstellungen, temporäre Bauten an der Volksbühne sowie eine Radiostation. Nun sind die Fördergelder aufgebraucht, folglich holten die Veranstalter am Wochenende noch einmal zum großen Rundumschlag aus.

Diedrich Diederichsen versuchte es mit einer Textexegese von Popsongs. An zwei Stücken der „Talking Heads“ – übrigens ehemalige Architekturstudenten! – führte er vor, wie bereits Ende der Siebzigerjahre in der Popmusik eine klare Vorstellung davon artikuliert wurde, was Gouvernmentalität und die Regierung des „kulturellen Milieus“ bedeutet: „Skeptische Popsongs“ nannte er das Phänomen, das die alte Popgeste der Aneignung von Städten und Vierteln durch ihr konkretes Benennen, der „Tanz aller auf den Straßen“, nicht mehr gelingen wollte.

Angst vor Theatralität

Juliane Rebentisch beschrieb dagegen die Angst vor der „Theatrokratie“, dem Theaterwerden des Politischen, die schon in der Antike und bei Rousseau wirksam war. Als Antidot benannte sie überraschenderweise das Theater selbst, das den notwendigen Inszenierungscharakter jeglicher Repräsentation stets offen lege. Auch der Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann bemühte sich um eine Ehrenrettung des Theaters und erinnerte daran, dass heutige Formen öffentlichen Verhaltens eher an Theatralität abgenommen hätten: In der höfischen Gesellschaft des Barocks etwa sei jede Geste einstudiert und auf ihre Wirkung berechnet gewesen; erst das bürgerliche Zeitalter habe mit solchem Überschwang Schluss gemacht. Wenn also heute über das „Schauspiel der Politik“ geklagt werde, dann verkenne diese Rede gerade das Prinzip theaterhaften Verhaltens: das „Spiel als Spiel“ sichtbar und in dieser Sichtbarkeit den „Vorschein der Freiheit“ wirksam werden zu lassen.

Trotz aller Forderungen, die Debatten drinnen mit der „Wirklichkeit da draußen“ in Verbindung zu bringen kam niemand auf die Idee, mitsamt dem Publikum vom schattigen Innen auf die sonnigen Treppenstufen vor der Volksbühne umzuziehen, um sich die Umgestaltung des anliegenden Rosa-Luxemburg-Platzes einmal konkret anzuschauen. Noch wird er von Bauzäunen zerschnitten, und riesige Erdhügel türmen sich um das frei stehende Volksbühnen-Logo. Aber die Vorbereitungen für Hans Haackes „Denkzeichen“ sind bereits in vollem Gange, mit denen quer über den Platz eingelassene Rosa-Luxemburg-Zitate das Andenken an die Revolutionärin wach halten sollen.

Der Ort wird wohl bald ein städtisches Schmuckstück sein: Mehrere Galerien säumen indes den Platz, die Cafés sind rege besucht. Auch das Babylon-Kino wurde am Wochenende wieder eröffnet, unter neuer Leitung und mit künftig halbiertem Kunstauftrag. Ursprünglich stammen das Filmtheater und seine Randbebauung ja von Hans Poelzig, der in den Zwanzigerjahren mit seiner Nebentätigkeit als Filmarchitekt und Bühnenbildner quasi den Gegenentwurf zum heutigen „Stadt als Bühne“-Design bildete: ein „realer“ Architekt, der auch für die Bühne arbeitete.

Heute dagegen werde der Volksbühnen-Bühnenbildner Bert Neumann von Architekturstudenten in Mexiko-Stadt schon mal gefragt, wie er die ästhetischen Mechanismen des Theaters auf ihre Stadt übertragen würde, berichtete Carl Hegemann. Vorerst hat Neumann nur die Volksbühnen-Fassade gestaltet, indem er vor das Baugerüst eine Plane spannen ließ, die eine Ansicht des alten Stadtschlosses zeigt, das in Berlins Mitte wieder neu aufgebaut werden soll. Bevor es jedoch, wie geplant, als Touristenattraktion neu entsteht, ließ es das Performance-Duo Rechenzentrum im Großen Saal der Volksbühne in schöner Dialektik schon mal erneut in die Luft sprengen.

Architektur als Bühne

Doch nicht nur Event-Manager und Stadtmarketing-Strategen planen munter an der Zukunft der Stadt. „Der größte Teil der Forschung zum städtischen Raum“, meinte der Architekt und Kurator Eyal Weizman, werde heute „von Leuten in Uniform vorangetrieben“. Weltweit bereiten sich Militärs auf Kriege in Städten vor, gründeten urbanistische Forschungsinstitute und planten „Netzwerktaktiken“ oder das Vorgehen in „Schwärmen“. Die Ausbildungsbücher des israelischen Militärs läsen sich bereits jetzt wie Kommentare zu postmoderner Philosophie, voller Vokabeln wie „nichtlinearem Denken“, „flachen Hierarchien“ und „nomadisches Umherschweifen“, die den Erfolg auf urbanen Kriegsschauplätzen sichern sollen.

Dagegen präsentierten sich die versammelten Urbanisten auf der Theaterbühne eher ratlos. Nur Diedrich Diederichsen schien einen Ausweg aus dem scheinbaren Stillstand aufzuzeigen, der nicht in der Theorie, sondern in einem Popsong lag. Während eines Konzerts des Rias-Jugendorchesters gab er singend eine Zeile von „Chic“ zum Besten: „At last I am free / I can hardly see in front of me“.

Das konnte man nach diesem Wochenende lesen als: Wir wissen zwar nicht, was kommen wird. Aber genau darin steckt auch ein Moment von Befreiung.