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Birte Müller Schwer mehrfach normalApple Crumble in der Bodylotion

Neulich habe ich in der Apotheke eine Neurodermitis-Creme für meine Tochter gekauft, weil vorne draufstand, dass sie 48 Stunden Feuchtigkeit spendet. Keine Ahnung, weshalb es immer heißt, Feuchtigkeit werde der Haut gespendet, als sei es ein barmherziger Akt. Und ich habe auch keine Ahnung, weshalb ich etwas geglaubt habe, was auf der Packung eines Pflegeproduktes steht. Seit Jahren lese ich die Beschriftungen eigentlich nur, weil sie so lustig sind.

Aber als ich 16 war, da habe ich das alles geglaubt, und um bloß keinen Spliss zu bekommen, habe ich mir tausend abstruse Produkte in die Haare geschmiert. Eines davon war „Pferdemark-Kur“. Heute lache ich mich allein über das Wort Spliss kaputt. Aber in der Pubertät schien mir das unheimlich relevant. Auch für Falten oder Cellulitis habe ich mich im Prinzip nur in dem Alter interessiert, in dem es mich überhaupt nicht betraf. Das viele Geld hätte ich mir damals echt sparen können – nicht nur, weil der Kram ohnehin nichts bewirkt, sondern weil ich ziemlich früh ziemlich altersweitsichtig geworden bin und weder Falten noch Cellulitis sehe. Außer ich setzte eine starke Lesebrille auf und beäuge es gezielt, was ich natürlich nicht tue. Gespaltene Haare könnte ich wahrscheinlich selbst dann nicht erkennen.

Auch Schrift auf Verpackungen kann ich nur mit Brille und Mühe entziffern. Trotzdem ist mir aufgefallen, dass in Drogerieartikeln heute anderes Gedöns drin ist als früher. Und mit Worten wie nachhaltig, bio, sozial oder plastikneutral – was auch immer das genau bedeuten soll – waren die Verpackungen vor 30 Jahren nicht gepflastert. Vegan war sowieso noch nix.

Apropos vegan. Dank Google weiß ich jetzt, dass dieses Pferdemark in meiner Haarkur von damals echt aus den Rückenwirbeln von Pferden gewonnen wird. Laut Kosmetikhersteller werden dafür allerdings keine Pferde getötet: „Das Mark wird ausschließlich aus schon verstorbenen Tieren gewonnen.“ Klingt nicht lecker und verkauft sich deswegen heute bestimmt nicht mehr gut.

privat

Birte Müller

ist Illustratorin, Autorin und Mutter von Willi (17) mit Downsyndrom und Olivia (15) mit Normal-syndrom. 2021 hat sie zusammen mit Yannick de la Pêche das Kinderbuch „Wie krank ist das denn?“ veröffentlicht.

Ich frage mich, ob wohl auch „Apple Crumble“ in so einer Bodylotion drin ist, wenn’s draufsteht. „Franzbrötchen“ würde ich dann kaufen, gibt’s aber nicht. In der „Cremedusche“, die ich neulich geschenkt bekommen habe, ist neben Bio-Minze angeblich „Baby-Apfel“ drin. Das sind arme, niedliche Äpfelchen, die der bösen Lebensmittelindustrie zu klein waren und die vom lieben Duschgelhersteller völlig selbstlos gerettet wurden (und die er jetzt in seinen Produkten entsorgt).

Herauszufinden, ob wirklich Apfel drin ist, war mir aufgrund mangelnder Lateinkenntnisse nur mit Hilfe von Wikipedia möglich. Dort erfuhr ich, dass „Malus domestica“ „Kulturapfel“ bedeutet: „Der Kulturapfel ist eine weithin bekannte Art aus der Gattung der Äpfel in der Familie der Rosengewächse. Er ist eine wirtschaftlich sehr bedeutende Obstart. Die Frucht des Apfelbaumes wird Apfel genannt.“ Schön, dass ich das auch mal klären konnte.

Als Jugendliche dachte ich übrigens ernsthaft, dass ich mich nicht ohne Duschgel hätte waschen können. Wie mein Vater ein Stück Seife zu benutzen, schien mir in etwa so anachronistisch wie die Benutzung eines Grammophons. Erst als ich mir Dreadlocks machen lassen wollte und dafür möglichst stumpfes Haar brauchte, habe ich angefangen, die Unmengen teurer Kuren, Spülungen oder Fünf-in-eins-Shampoos für Glanz, Kämmbarkeit oder Haarstrukturblabla wegzulassen und sie mit Seife zu waschen. Dabei kam heraus: Es ist völlig egal, womit ich meine Haare wasche, sie sind immer gleich. Praktisch – ich brauch nur noch ein Stück Seife für alles und bin dabei sogar noch woke. Aber vor beknackten Beschriftungen schützt das nicht. Auf der Pappschachtel meiner Seife steht gleich fünf Mal, dass es ganz normale Seife ist.

Es ist völlig egal, womit ich meine Haare wasche – sie sind immer gleich

Ach ja, und hinten auf der 48-Stunden-Feuchtigkeitscreme steht, dass man sie alle 12 bis 24 Stunden auftragen soll. So viel dazu.

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