„Wir nehmen kein Geld weg“

SPAREN Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) findet Einsparungen bei Jugendtreffs vertretbar, weil es mehr Ganztagsangebote gibt. Weitere Kürzungen schließt er nicht aus

■ 51, ist seit März 2011 Senator der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration. Zuvor war der studierte Politiklehrer unter anderem Staatsrat im Bundesarbeitsministerium und Geschäftsführer der Elbe-Werkstätten.

INTERVIEW KAIJA KUTTER

taz: Herr Scheele, warum kürzen Sie zehn Prozent bei der offenen Kinder- und Jugendarbeit?

Detlef Scheele: Wir geben insgesamt deutlich mehr Geld für die Kinder und Jugendhilfe aus als in den Jahren zuvor, denn wir bauen die Ganztagsangebote bei Kitas und Schulen aus und verbessern so die Angebotsstruktur. Dies bedeutet aber, dass wir innerhalb des Jugendhilfebudgets umsteuern müssen.

Es hagelt Proteste. Gibt es keinen anderen Spielraum?

Nein. Weil wir mit der Einhaltung der Schuldenbremse eine Finanzpolitik der Generationengerechtigkeit verfolgen. Hamburg zahlt derzeit rund 900 Millionen Euro jährlich für Zinsen. Dieses Geld können wir sinnvoller nutzen.

Aber gleichzeitig sollen die Ausgaben für Hilfen zur Erziehung (HzE) und Kitas um 14 und 39 Millionen Euro steigen …

Auf die Hilfen zur Erziehung haben Familien einen Rechtsanspruch. Da können wir nur durch Steuerung etwas erreichen. Darüber hinaus hat der Krippen- und Kita-Ausbau politische Priorität, weil er für Chancengleichheit sorgt. Hier können wir Kinder aus schwierigen Verhältnissen am besten früh fördern.

Sie haben Spielraum. Sie machen das Kita-Essen und die fünfstündige Betreuung kostenlos. Reiche Eltern brauchen das nicht.

Die Linie des Senats ist: „Was versprochen ist, wird gehalten.“ Die Senkung der Kitagebühren und die Abschaffung des Essengeldes kommt allen zugute und macht den Besuch einer Kita attraktiv. Mir ist wichtig, dass der Gesamt-Etat für Kinder und Jugendliche wächst. Wir nehmen hier per Saldo kein Geld weg, im Gegenteil: Von 2011 auf 2013 steigt der Jugendhilfehaushalt sogar um rund 14 Prozent.

Und doch bekommen Jugendclubs, Bauspielplätze und Familienzentren weniger Geld. Zehn Prozent, das heißt bei 281 Häusern, dass rechnerisch 28 schließen. Ein neues Papier aus Ihrem Haus hält nun sogar für ältere Kinder zwei bis fünf Häuser pro Bezirk für ausreichend. Wollen Sie noch viel mehr kürzen?

Das ist Unsinn. Das Papier beschäftigt sich mit den Veränderungen infolge des Ausbaus der Ganztagsbetreuung. Es zeigt Möglichkeiten, wie die Einrichtungen der Jugendarbeit mit Schulen kooperieren können.

Und wenn die HzE-Kosten stärker steigen als geplant? Wird das dann wieder der offenen Jugendarbeit weggenommen?

Da sprechen Sie ein großes Problem an: Wir müssen die ungeheure Dynamik bei dem Anstieg der gesetzlich garantierten Hilfen zur Erziehung stoppen. Sonst bleibt in Zukunft kein Geld mehr für freiwillige Leistungen übrig. Und das betrifft nicht nur die offene Kinder- und Jugendarbeit.

Sie sagen, die bedrohten Häuser könnten Geld aus dem neuen Zwölf-Millionen-Topf für sozialräumliche Angebote beantragen. Was müssen die dafür tun?

Sie müssen ihre Arbeit entsprechend ausrichten. Wichtig ist für uns, dass kostspielige Einzelfallhilfen vermieden werden. Nehmen wir ein Kinder- und Familienzentrum, das ein offenes Frühstück für Mütter anbietet. Wenn das jetzt mit dem Jugendamt eine Vereinbarung schließt und sich verpflichtet, für einzelne Familien in einer verbindlichen Zusammenarbeit mit dem Allgemeinen Sozialen Dienst Unterstützung anzubieten, kann es Geld aus diesem Topf erhalten.

Aber Sie kürzen auch bei den Familienzentren. Wer soll denn das Frühstück anbieten, wenn die Stammkräfte wegfallen?

Die Familienhilfezentren machen einen guten Job. Ich gehe davon aus, dass dieses auch in den Bezirken so gesehen wird.

Ihre Genossen in Eimsbüttel sagen, Sie sollen lieber weniger für diese neuen Hilfen ausgeben und dafür die bewährten Einrichtungen verschonen.

So einfach geht es leider nicht. Zum einen, weil wir die neuen Hilfsangebote ja brauchen. Zum anderen sind HzE-Mittel gesetzliche Leistungen, an deren Vergabe Bedingungen geknüpft sind.

Sie haben eine soziale Stadtkarte angekündigt, die einen Überblick über alle sozialen Einrichtungen geben soll. Wird Ihre Karte ein Kürzungsatlas?

Das ist Unfug. Man braucht aber eine solide Bestandsaufnahme.

Sie waren kürzlich als „Senator vor Ort“ in Steilshoop. Es gab Aufregung, weil Sie vortrugen, die Zahl der Kinder und der Arbeitslosen sei gesunken, da könne es nicht sein, dass man dort alles so lässt, wie es ist.

Ich habe Daten des Statistik-Amtes Nord vorgetragen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist dort gesunken.

In dieser Statistik steht aber auch, dass fast jedes zweite Kind dort von Hartz IV lebt.

Ich wollte nur deutlich machen, dass nicht alles immer schlimmer wird. Die Zahl der Arbeitslosen ist in ganz Hamburg zurückgegangen. Das ist ein Erfolg, auch einer für die Träger von Maßnahmen. Dennoch ist Steilshoop nach wie vor ein Stadtteil, in dem überproportional viele Menschen von staatlicher Unterstützung leben und der besondere Aufmerksamkeit verdient.

Andernorts haben sich die Daten verbessert. Soll man deshalb Jugendclubs schließen?

Nein. Aber man muss gucken, wie sich die Stadt in positiver oder negativer Weise entwickelt und entsprechend reagieren.

Die Zahl der Kinder ist in Hamburg konstant, auch die der Armen. Da ist nichts überflüssig.

Das ist ein unzureichender Blick. Wenn wir flächendeckend die ganztägige Betreuung in Krippen, Kitas und Schulen ausbauen, dann wird sich die soziale Landschaft der Stadt verändern. Kinder werden sich dort viel aufhalten. Für die Träger wird es Veränderungsbedarf geben.

Manche Kinder halten es nicht aus, den ganzen Tag in der Schule zu sein. Die brauchen Orte ohne Zensuren und Druck.

Die ganztätige Betreuung an Schulen steht nicht unter dem Zeichen von Leistungsdruck und Zensuren, im Gegenteil. Und die offene Kinder- und Jugendarbeit ist eingeladen zu runden Tischen in den Schulen, damit Vielfalt erhalten bleibt. Frankreich macht uns vor, dass Ganztagsschulen funktionieren.

Nur hat Deutschland ein Jugendhilfegesetz, das Kindern Rechte auf offene Angebote zuspricht wie den Bauspielplatz, wo sie nachmittags toben und andere Bezugspersonen finden.

Diese Angebote sind auch wichtig, es wird sie weiterhin geben.