Aus Rot-Grün wird Rot und Grün

Schröder vermeidet eine Koalitionsaussage zugunsten der Grünen. Die SPD-Linke kämpft um Profil, umso mehr, wenn Lafontaine antritt

VON ULRIKE WINKELMANN

Wenn sich die Dinge überschlagen, ist es manchmal schwierig, zwischen Selbstverständlichem und Nichtselbstverständlichem zu unterscheiden.

Nicht für Gerhard Schröder natürlich. Der Kanzler platzierte gestern seinen persönlichen Wahlkampfauftakt in der Zeit. Er verkündete dort: In einer „Wahlauseinandersetzung sucht jeder das größtmögliche Maß an Wählerstimmen gegen jeden anderen Konkurrenten zu gewinnen. Das ist eine Selbstverständlichkeit.“

Trotzdem war dies eindeutig kein Bekenntnis zum grünen Koalitionspartner. Nachdem SPD-Chef Franz Müntefering die vorgezogenen Neuwahlen zu einer Volksabstimmung über das Kanzlerprogramm „Agenda 2010“ erklärt hat, machte Schröder nun deutlich: Gewählt wird am 18. September zwischen den zwei Personen Schröder und Merkel. Die Auseinandersetzung werde „auf die beiden Spitzenleute zugeschnitten“, sagte er.

Auch Kanzlergetreue im Bundestag, etwa Hans-Peter Kemper oder Susanne Kastner, oder der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck gestikulierten gestern in Richtung einer Großen Koalition – die rein rechnerisch immer von einem Einzug der PDS ins Parlament abhängt. Diesen allerdings hat Oskar Lafontaine gestern wahrscheinlich gemacht.

Der Ex-SPD-Chef erklärte, er wolle mit der PDS und der Wahlalternative WASG in den Wahlkampf ziehen, so diese eine gemeinsame Liste bildeten. Prompt und recht lyrisch forderte SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter ihn auf: „Oskar, hör auf mit dem eitlen Rumgerede! / Oskar, hör auf, der SPD zu schaden! / Oskar, sei ehrlich: Geh jetzt!“ Wenige Minuten später – reibungsloses Politmediengeschäft – tickerte Lafontaines Austrittserklärung über die Agenturen.

Nun muss die SPD zu allem Überfluss auch noch einen Wahlkampf gegen eine linke Partei führen, die vom eigenen Exvorsitzenden unterstützt wird. Für die übergroße Mehrheit derer, die angesichts 28 oder 30 Prozent Zustimmungswerten nicht an einen Sieg glauben, dürfte dies zwar kaum noch einen Unterschied machen. Für die SPD-Linke, soweit sie sich auf eine Karriere in der Opposition rüstet, ist eine Linkspartei jedoch ein Grund mehr, auf Abkehr vom Kanzler-pur-Kurs zu drängen. Sie rüstete sich gestern für die Auseinandersetzung auf der abendlichen Vorstandssitzung darüber, wie viel linkes Profil Schröder und Müntefering in einem Wahlprogramm zulassen.

Niels Annen, Ex-Juso-Chef und Präsidiumsmitglied, sagte zur taz, natürlich gebe es ein Bündnis mit den Grünen: Bei allen Themen, mit denen die SPD die CDU angreifen könne, „besteht die die Blockbildung Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb einfach“. Er nannte Atomenergie, Kopfpauschale, Steuern und Arbeitnehmerrechte. Und ebenso natürlich „kann die Partei nicht bloß mit dem Slogan ‚Agenda 2010‘ in die Wahl ziehen“, erklärte Annen, der erstmals einen Hamburger Wahlkreis zu erringen hofft. Es müsse einfach bei Bürgerversicherung, Mindestlohn und Erbschaftssteuer „nachjustiert“ werden. „Sonst brauchen wir gar nicht an die Wahlkampfstände zu gehen.“

Die nächste Abstimmung darüber, ob die bislang vorgestellten Wahlkampfelemente „Schröder oder Merkel“, Agenda 2010 und Außenpolitik noch auf diese Weise ergänzt werden, wird es heute früh bei einer Sondersitzung der Bundestagsfraktion geben.

Nicht, dass in der Fraktion die Stimmung besser wäre als in der Partei. Bei einem Stimmenverlust von etwa 20 Prozent würden von 250 Bundestagsmandaten rund 50 verloren gehen, überlegt mancher und sorgt sich, wie er in vier Monaten für seine Mitarbeiter neue Jobs fände. Die Nordrhein-Westfälin und Europapolitikerin Angelica Schwall-Düren erklärte gegenüber der taz einen Wahlkampf in ihrem Bundesland zu einem „Gewaltakt“: Die NRW-SPD sei „personell und materiell ausgezehrt“.

Der Chef des Gesundheitsausschusses, Klaus Kirschner, sagte zur taz, die Entscheidung für vorgezogene Neuwahlen sei „ein schwerer Fehler“. Selbst wenn die jüngeren Parteilinken nun noch für Modifikationen am Wahlprogramm kämpften – „eine Chance, die Politik im Sinne von Münteferings Kapitalismuskritik zu korrigieren, hätten wir nur noch im Laufe des Jahres 2006 gehabt“.

Selbst zarteste Pflänzchen eigenständiger sozialdemokratischer Politik sind nun ruiniert: Entweder gibt es für sie keine Gesetzgebungstermine mehr, oder es wird kaum noch eine Zustimmung der Union im Bundesrat mehr geben. Auch Gesetze, die ohne den Bundesrat auskämen, wie die Transparenzregeln für Politiker-Nebeneinkünfte, dürften nun wieder kippen.

Nur eines, behauptete der Kanzler gestern, wolle er wie geplant mit der Union noch umsetzen: die Senkung der Unternehmensteuern und der Erbschaftsteuern.