Zwei Männer suchen Geschichte

Oskar Lafontaine wittert einen historischen Moment für eine Linke jenseits der und gegen die SPD. Gregor Gysi träumt gar von einem neuen 1989

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Das konnte Oskar Lafontaine nicht auf sich sitzen lassen. Jetzt, da Gerhard Schröder alles aufs Spiel setzt, um die Kanzlerschaft zu retten, muss auch er, der große Zauderer Lafontaine, springen. Der Saarländer ist immer noch getrieben davon, seinem alten Rivalen zu beweisen, dass er der Bessere von beiden ist. Seine letzte Chance dafür ist gekommen.

Nachdem der frühere SPD-Vorsitzende sein Publikum monatelang mit dem Gerücht langweilte, er werde seiner Partei den Rücken kehren, wenn sie ihre unsoziale Politik nicht ändere, macht er endlich Ernst. Lafontaine erklärt in der heutigen Ausgabe der Bild-Zeitung seine Mitgliedschaft in der SPD nach 39 Jahren für beendet. Zugleich kündigt er seine Bereitschaft an, bei der vorgezogenen Bundestagswahl für ein Linksbündnis aus PDS und der Linkspartei WASG anzutreten. „Wenn es zu einer gemeinsamen Liste kommen sollte, bin ich bereit, mitzumachen“, sagt Lafontaine. Es sei nicht sinnvoll, wenn „zwei kleine Parteien“ links von der SPD kandidierten. Notwendig sei eine „gemeinsame linke Liste nach dem Modell des italienischen Olivenbaums“.

Wie sehr sich Lafontaine und die Sozialdemokratie auseinander gelebt haben, kann man an den äußeren Umständen dieses für beide Seiten einschneidenden Schrittes ablesen: Lafontaine benutzt für die lapidare Mitteilung ausgerechnet sein Hausmedium Bild und hält es nicht für nötig, Einzelheiten darüber mitzuteilen, wann und wie seine Mitgliedschaft eigentlich endet. Er sagt lediglich, er hätte immer erklärt, seine formelle Mitgliedschaft sei beendet, „wenn die SPD mit der Agenda 2010 und Hartz IV in die Bundestagswahl zieht“. Die SPD ihrerseits hat für ihr einstiges Idol nicht mehr als ein paar böse Worte übrig. Lafontaines Sympathieerklärung für ein neue Linksbündnis hatte SPD-Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter umgehend mit einem indirekten Rauswurf kommentiert. „Oskar, hör auf mit dem eitlen Rumgerede!“, rief Benneter. „Oskar, hör auf, der SPD zu schaden! Oskar, sei ehrlich: Geh jetzt.“

Jetzt ist er gegangen, aber ob er wirklich auf der Liste eines Linksbündnisses für die Bundestagswahl antritt, ist ungewiss. Das größte Problem steckt in der Ungenauigkeit seiner Vorstellungen. Eine Listenverbindung zweier unabhängiger Parteien lässt das Wahlgesetz in Deutschland gar nicht zu. Insofern ist Lafontaines Hinweis auf das italienische Olivenbaumbündnis unrealistisch; die Mitte-Links-Allianz war ein Zusammenschluss mehrerer unabhängiger Parteien. Fest steht aber immerhin, dass der Vollblutpolitiker die historische Situation für ein lebensfähiges, wie auch immer geartetes Bündnis links von der SPD für gegeben hält.

In dieser Einschätzung trifft er sich mit dem anderen großen Unterbeschäftigten der deutschen Politik, mit Gregor Gysi. Seit Herbst 2004 hält Gysi seiner Partei schonungslos vor, im Westen der Bundesrepublik gescheitert zu sein. Seitdem liebäugelt Gysi mit dem Projekt einer Linkspartei, die über die PDS hinausweist. Darüber ist er mit Lafontaine seit Monaten im Gespräch. Die jetzige Ankündigung Lafontaines ist ganz ohne Zweifel mit Gysi abgestimmt.

Sie markiert für den PDS-Star zugleich den Punkt, der es ihm möglich macht, eine Rückkehr in die Politik gegenüber der Öffentlichkeit und sich selbst glaubwürdig zu begründen. Dafür braucht er, die Ausnahmeerscheinung, eine große Aufgabe: Gysi und Lafontaine als die beiden großen Antineoliberalen, die diese unsoziale Republik aufmischen – so in etwa schwebt es dem PDS-Politiker vor. Das hätte in seinen Augen einen Hauch von Wende. Das wäre für ihn fast wieder so wie 1989/90.

Gysi will endlich eine linke Kraft salonfähig machen, die sich dem neoliberalen Mainstream der Gesellschaft entgegenstellt. Diesen Mainstream sieht er überall auf dem Durchmarsch: in der Öffentlichkeit, in den Medien, selbst bei der SPD und den Grünen. „Dagegen anzukämpfen, wäre meine Leidenschaft, wenn ich im Bundestag säße“, hat er Ende März 2005 gesagt. Zwei Punkte lassen die Realisierungschancen dieses großen Projekts im Unklaren: Gysis Gesundheitszustand sowie die gegenseitige Abneigung von PDS und WASG.

Für Gysis Rückkehr ist, noch vor dem politischen Projekt, seine Gesundheit entscheidend. Er will sich in den kommenden Tagen einer gründlichen ärztlichen Untersuchung unterziehen. Von der Diagnose der Ärzte wird abhängen, ob Gysi nach seinen zwei Herzinfarkten und seiner Gehirnoperation überhaupt das Risiko eines politischen Comebacks auf sich nimmt. Ob diese Rückkehr dann auf dem Ticket eines Linksbündnisses möglich wird, steht dahin. Die PDS-Spitze hält die westdeutsche Linkspartei für einen Verein von politischen Sektierern. Sie kann sich zwar vorstellen, ihre Bundestagsliste für einzelne WASG-Leute zu öffnen, aber sie würden das nie unter Preisgabe ihrer Identität als ostdeutsche Volkspartei PDS tun. Die Gründung einer neuen Partei halten die führenden PDSler, nicht nur wegen der Kürze der Zeit bis zur Bundestagswahl im Herbst, für gänzlich unrealistisch.

So fällt der Kommentar von PDS-Chef Lothar Bisky auf Lafontaines Ankündigung auch nicht euphorisch aus. Bisky spricht von einer „großen Chance“ und von „Gesprächsbereitschaft“. Das Wahlrecht und der Wahltermin setzten jedoch enge Grenzen. Das Problem spricht er offen aus: „Wenn es zu einer gemeinsamen Aufstellung käme, ist das eine neue Partei.“ Dafür müsste er eine Mitgliederbefragung in der PDS einberufen. Was er verschweigt, ist, dass das Ergebnis einer solchen Befragung Nein lauten würde. „Ich bin jedoch seit langem der Auffassung“, fügt der Parteivorsitzende hinzu, „dass sich die Linke in Deutschland strategisch neu aufstellen muss, um nicht noch weiter zu zersplittern. Eine erfolgreiche Bundestagswahl kann dafür Türen öffnen.“ Das ist die eigentliche Nachricht an Lafontaine: Erstmal will die PDS in den Bundestag, dann kann man weitersehen.