Leere Dächer, kurze Leitungen

ENERGIE Die Bremer sind Solarmuffel. Doch in der Bürgerschaft gibt es nun einen Allparteien-Konsens für mehr Photovoltaik, Fernwärme und einen „Wärmeatlas“

Das „Bremer Haus“ als energetischer Problemfall: Viele Besitzer wollen nicht ihre Fassade verlieren

Von Henning Bleyl

Der Bremer Kohlendioxid-Ausstoß soll bis 2020 um 40 Prozent reduziert sein. Weitere 30 Jahre später ist der Energieverbrauch des Landes vollständig aus erneuerbaren Energien gedeckt – so die Zielvorgabe seitens des Landesregierung. Derzeit jedoch kommen 70 Prozent des Bremer Stroms aus Kohlekraftwerken.

Die Bürgerschaft will jetzt Druck machen: In einem einstimmigen Beschluss, der von den Grünen eingebracht wurde, fordert sie den Senat auf, eine „Planungsgrundlage“ für Wärmenetze und eine Solarpotenzialanalyse zu schaffen. Denn neben Weserkraftwerk, Wind und Biogas sollen die Klimaziele durch Dämm-Anstrengungen, Fernwärme und Sonne erreicht werden. Gerade bei letzterer hat Bremen Nachholbedarf: Während Bremerhaven über ein Solarkataster verfügt, fehlt in Bremen eine systematische Flächenerfassung. Der Output hat sich 2009 zwar mehr als verdoppelt, liegt aber trotz spektakulärer Großprojekte wie dem Weserstadion bei einem ausbaufähigen Wert von 14 Megawatt peak.

Das verbreitete Vorurteil, daran sei das Wetter schuld, lässt Maike Schaefer von den Grünen nicht gelten: „Bremen hat ausreichend Sonne“, sagt die Umweltpolitikerin. Dass sich deren Nutzung nur in Freiburg lohne, sei „Quatsch“. In der Tat lassen sich die Anlagen auch mit Diffuslicht speisen – und wer ganz sicher gehen will, kann sich bei Gebäudeversicherern gegen den „Ausfall von Sonnenstunden“ schützen.

In Sachen Solarversorgung gibt es nicht nur das Nord/Süd-, sondern auch ein Stadt/Land-Gefälle: Insofern sieht Bremen im Vergleich doppelt schlecht aus, wobei sich gerade das beliebte „Bremer Haus“ als energetischer Problemfall erweist. Wegen der schönen Fassaden ist das Dämmen unbeliebt, auch das Aufmontieren von Solarpaneelen geht vielen Hausbesitzern ästhetisch gegen den Strich. Vor allem in der Östlichen Vorstadt sieht man daher ganze Straßenzüge in unverschatteter Südlage mit leeren Dächer. Doch auch nach der Reduzierung der Einspeisegebühr haben private Voltaikanlagen realistische Amortisierungsfristen – zudem bleibt Solarthermie, die Warmwassererwärmung durch Sonne. Ab acht Quadratmetern in sonniger Lage ist sie auch als Heizungsunterstützung brauchbar, spielt in Bremen bislang aber nur eine marginale Rolle.

Bei öffentlichen Gebäuden liegen einige Tücken im Detail: Über die Hälfte der von der Himmelsrichtung her geeigneten Bremer Dächer, schätzen Experten, ist statisch nicht zur großflächigen Montage von Solar-Panels geeignet. Speziell bei Schulen muss zudem gewährleistet sein, dass sie auch die kommenden 20 Jahre als solche genutzt werden, und nicht etwa verkauft werden – so lange reichen die Mietverträge mit den Anlagebetreibern. Schließlich erweist sich auch der Brandschutz als ärgerlicher Hemmschuh: Wenn am Dach etwas verändert wird, verlieren ältere Gebäude ihren Bestandsschutz – und müssten wegen der Solaranlagen komplett nachgerüstet werden.

Der Fernwärme-Ausbau ist noch komplexer: Dazu muss die Politik die SWB an Bord holen, also das Gespräch mit EWE-Chef Werner Brinker suchen – und Überzeugungsarbeit leisten. In Oldenburg, Sitz der EWE, gibt es überhaupt keine Fernwärme-Nutzung. Flensburg, am anderen Ende der bundesweiten Skala, verfügt über ein zu 100 Prozent ausgebautes Netz. Bremen liegt im unteren Mittelfeld. Immerhin wurde in jüngerer Zeit die Überseestadt an Fernwärme angeschlossen, aber der sonstige Bestand ist überschaubar: Horn und Teile von Schwachhausen sind versorgt, in geringem Maß auch Bremen-Nord. Dabei gab es in der Bremer Verwaltung bereits vor 30 Jahren Planungen für einen Fernwärme-Ringschluss – den aber wollte die SWB nicht, für die Gaskunden lukrativer sind als Fernwärme-Abnehmer.

Die energiepolitische Sprecherin der Grünen, Anne Schierenbeck, weiß von zahlreichen Firmen, die an einem Fernwärme-Anschluss interessiert waren – von der SWB aber ausgebremst worden seien: Ein Monopolist, der keinen Kostenvoranschlag macht, schafft Fakten.

Um die Klimaziele zu erreichen, müssten zudem jährlich drei Prozent der öffentlichen Gebäude energetisch saniert werden. Derzeit liegt die Bremer Quote bei einem Prozent. „Wir können uns nicht leisten, erst in hundert Jahren mit der Sanierung fertig zu sein“, warnt Schierenbeck. Zumal alle 30 Jahre nachsaniert werden muss.

Die Bürgerschaft will nun einen „Wärmeatlas“, mit dem der Dämmzustand der Bremer Häuser erfasst wird – eine Forderung, die der Bremer Energiebeirat schon Mitte der 80er erhob. Das notwendige Know-how ist vor Ort vorhanden: Das Bremer Energieinstitut hat gerade den Bielefelder Wärmeatlas fertiggestellt, in Bremen aber ist unklar, wer überhaupt die Kosten trägt. Es geht um höchstens 200.000 Euro, über die nun Stadt und SWB verhandeln werden.