Hier strömt das deutsche Denken

THEATER Die Texte des Schriftstellers Rainald Goetz und des „Bild“-Kolumnisten Franz Josef Wagner dienen im HAU als Vorlage zu einem Macho-Abend

Auf der Bühne ein riesiges Kohl-Porträt, denn Goetz und Wagner sind Gewächse aus Kohls BRD-Garten

Das Beste an diesem Abend ist sein Grundgedanke: nämlich Texte des Bild-Kolumnisten Franz Josef Wagner und des Schriftstellers Rainald Goetz miteinander zu konfrontieren. Texte, die mitunter klingen, als wären sie im Schaumbad des Weltgeists entstanden; als wären ihre Schreiber jeweils grundüberzeugt, gerade flösse ein Strom deutschen Denkens mitten durch sie hindurch. Ach was, des Denkens an sich. Und die doch eigentlich oft bloß wildes Gelaber sind. Männereigentlichkeitsfieberträume. Und so sitzt man einigermaßen erwartungsfroh im HAU. Fürs Werbefoto hat Regisseur Patrick Wengenroth in sexy Badehose mit schwarz-rot-goldenen Deutschlandhosenträgern und Leoparden-High-Heels als Pin-Up posiert.

„Brief an Deutschland“ schließlich heißt Franz Josef Wagners Autobiografie, die eine Textvorlage des Abends. Ein Buch, in dem Sätze stehen wie „Ich bin aufgewachsen an einem Sarg, in dem lag Deutschland.“ Und Wengenroth tritt auch recht bald ironisch hinterm Schnauzbart grinsend als Franz Josef Wagner in Erscheinung. Dicht gefolgt von Niels Bormann, der sein Virtuosentum in der linkisch verklemmt-verschämten Deutschendarstellung virtuos unter anderem schon schon in Yael Ronens Theaterabend „Dritte Generation“ unter Beweis gestellt hat. Auch er ist Franz Josef Wagner. Und die Schauspielerinnen Vivien Mahler und Verena Unbehauen ebenfalls, die zum Schluss in enganliegenden Ganzkörperlederanzügen die Szene entern, die irgendwann auch von Bierkästen zugemöbelt wird.

Mit spitzen Fingern packen Wengenroth und sein Ensemble aus Wagners Buch die besten Stilblüten aus. Passagen, die von der speziellen Wagner’schen Mischung aus zupackender Hellsicht und übergriffiger Schlüpfrigkeit leben. Wo es um das entzückende Flüchtlingskind Franz Josef, Nazis in Eisdielen und Oskar Lafontaines Prostata-OP samt ihren Folgen geht. Oder das von Seite 1 verschwundene nackte Bild-Girl („Du warst mein Forsythien-Strauch“.) Vorne auf der Bühne ein riesiges Kohl-Porträt. Denn Goetz und Wagner sind Gewächse aus Kohls BRD-Garten. Dahinter ein paar Holzgestelle, in denen man mit etwas gutem Willen Berliner Wahrzeichen wie den Funkturm und das Brandenburger Tor erkennen kann. Denn nach der Wende ist Wagner nach Berlin gezogen. Rainald Goetz auch. Und die Musiker der österreichischen Band „Ja, Panik“, die den Abend mit herzzerreißenden Rocknummern aufpeppen, die so schöne Sätze singen und sagen können wie „Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit“.

Das hätte man eigentlich gerne genauer gewusst. Aber genau ist nicht an diesem Abend, der der Lonely-Hunter-Welterklärungspose von Wagner, Goetz und „Ja, Panik“ mit einer unentschlossenen Mischung aus Ironie und Bewunderung gegenübersteht. Wenn zum Beispiel Niels Bormann als Boris-Becker-Ghostwriter Wagner, während er erzählt, wie der 17-jährige Wimbledon-Sieger von ihm medial in der Bild-Zeitung entjungfert wurde, von Vivien Mahler gierig entkleidet und abgeleckt wird.

Gegen den Eindruck der grundsätzlichen Last-Macho-Bewunderung dieses Abends hilft auch nicht, dass Wengenroth den Rainald-Goetz-Monolog „Katarakt“ von 1992, in dem sich ein alter Mann in Samuel-Beckett-Manier an sein Leben erinnert, von der jungen Schauspielerin Eva Löbau sprechen lässt. Denn Löbau führt zwar bis an die Schmerzgrenze unerträgliches Eigentlichkeitsgelaber über Gott und das Ego vor. Präsentiert die mäandernden Reflexionssimulationen als sprudelnde Emo-Logorrhoe. Allerdings wird nicht klar, ob das freiwillig oder unfreiwillig geschieht. Ob hier ein Text vorgeführt oder schauspielerisch nicht bewältigt wird. Und so ergreifen schon viele Zuschauer die Flucht, bevor der Abend überhaupt zu Ende ist.

Esther Slevogt

■ Nächster Termin: 2. April, 20 Uhr, HAU 2