Leider zu glaubhaft

Nach dem Skandal um angebliche Koranschändungen in Guantánamo: Wie „Newsweek“ seinen Umgang mit anonymen Quellen ändert

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

„Die Ehre erfordert es, dass wir unseren Fehler eingestehen und unsere Anstrengungen verdoppeln, um sicherzustellen, dass so etwas nie wieder vorkommt.“ Mit diesen Worten entschuldigte sich Newsweek-Chefredakteur Richard M. Smith diese Woche in einem „Brief an unsere Leser“ für den widerrufenen Artikel zu Koranschändungen in Guantánamo. Ein gewagter Schritt, so öffentlich und so viel Asche aufs eigene Haupt zu streuen – aber auch ein bitter nötiger. Denn im Zuge des medialen Kulturkrieges, der in den USA um die Affäre ausgebrochen ist, kommt eines völlig unter die Räder: wie ernsthaft, rasch und konsequent sich das US-Nachrichtenmagazin der eigenen Berichterstattung gewidmet hat.

In Zukunft dürfen bei Newsweek namentlich nicht genannte Informanten nur noch zitiert werden, wenn leitende Redakteure dies genehmigen. Die Formulierung „Quellen sagten“ wird völlig untersagt. Kurzfristig dürften diese Schritte das rapide gesunkene Vertrauen der Bevölkerung in die US-Presse wohl kaum heben – schließlich knüpft die Affäre an eine Serie von Medienskandalen um erfundene Artikel in der New York Times oder vom TV-Sender CBS veröffentlichte gefälschte Dokumente, die Präsident Bush überführen sollten, sich vor dem Vietnam-Einsatz gedrückt zu haben, an. So sorgen sich hierzulande Journalisten, dass die nach „9/11“ unter dem Generalverdacht des Unpatriotismus stehenden Medien ihren in den vergangenen Monaten zurückgewonnenen Biss wieder verlieren könnten.

Darüber hinaus hat das Newsweek-Debakel die Aufmerksamkeit noch auf ein strukturelles Problem gelenkt: Eine Untersuchung von 10.000 Zeitungsartikeln und Rundfunkbeiträgen in den USA fand jüngst heraus, dass sich 13 Prozent auf unbekannte Informanten stützen. Nach Schätzung der New York Times basieren die Hälfte aller Titelgeschichten führender US-Zeitungen auf anonymen Quellen. Diese würden oft dazu benutzt, einen Artikel aufsehenerregender erscheinen zu lassen. Überdies erhöhe sich die Fehlerwahrscheinlichkeit, schreibt Jonathan Alter in einem selbstkritischen Beitrag in Newsweek. Veröffentlichungen seien schließlich ein willkommenes Instrument der politischen Manipulation. „Ein Regierungsmitarbeiter, der unerkannt bleibt, riskiert nicht seinen Kragen, der Reporter hingegen kann alles verlieren.“

So verwundert es nicht, dass Regierung, konservative Politiker und Kommentatoren nun zur Schelte insbesondere der als liberal verdächtigten Presse ausholen. Das Wall Street Journal verstieg sich gar zu der These, dass US-Medien „den Krieg gegen den Terror untergraben wollen“. Die Aufregung ist jedoch zweifelhafter Natur. Michael Isikoff, Autor des gescholtenen Artikels, galt lange als Star der Konservativen. Er deckte die Affäre Bill Clintons mit Monika Lewinsky auf. Nun verkörpert er plötzlich die „liberale Presse“.

Die Newsweek-Affäre hinterlässt zudem einen bitteren Nachgeschmack. Sie erlaubte der Regierung, von der eigenen skandalösen Gefangenenpolitik abzulenken, schreibt Kolumnistin Anne Applebaum in der Washington Post. Der eigentliche Punkt: Die Geschichte sei aufgrund der erwiesenen entwürdigenden Verhörpraxis von muslimischen Häftlingen in US-Gewahrsam so glaubhaft gewesen. „Den Boten zu beschuldigen, selbst für eine etwas unglückliche Botschaft, heißt nicht, dass die Regierung sich aus der Verantwortung stehlen kann.“