piwik no script img

Galaktische Rumpler

Das Räderwerk des Getriebes von Real Madrid läuft noch knarzend, weil Toni Kroos schmerzlich vermisst wird und Kylian Mbappé Zeit braucht

„Blick nach vorn“: Real Madrids Mbappé (r.) und Coach Ancelotti Foto: reuters

Von Florian Haupt

Vorige Woche kam es im Madrider Fußball zu einem aufsehenerregenden Comeback. Toni Kroos wurde wieder in der Szene gesichtet. Allerdings besuchte der Deutsche nur die Toni Kroos Academy – sein Projekt im wohlhabenden Vorort Boadilla del Monte. Vergebens blieben Hoffnungen, der Mittelfeldstratege könne selbst wieder die Schuhe schnüren.

Zwanzig Kilometer weiter östlich im Zentrum der Hauptstadt gastiert heute der VfB Stuttgart bei einem Real Madrid, das Kroos schmerzlich vermisst. „Unersetzbar“ nannte Trainer Carlo Ancelotti seinen Spielmacher schon, als er noch hoffte, ihn zum Weitermachen überreden zu können. Doch Kroos optierte gegen eine elfte Saison mit Real. Wer in Ancelottis damaligen Worten eine düstere Prophezeiung erblicken mochte, darf sich bisher bestätigt fühlen.

Real „rumpelt“ durch die bisherige Saison, findet die Madrider Sportzeitung As. Die Ausbeute von elf Punkten aus fünf Partien ist noch das Positivste, bedeutetet aber trotzdem schon vier Zähler Rückstand auf Barcelona. Zuletzt gelang am Samstag bei Real Sociedad in San Sebastián nur deshalb ein Sieg, weil der Gegner dreimal Latte und Pfosten traf, ehe er zwei unnötige Elfmeter verursachte. Der etablierte Klubstar Vinícius Júnior und der neue Klubstar Kylian Mbappé verwandelten je einen, und Ancelotti räumte ein: „Wir hatten wahrscheinlich nicht verdient zu gewinnen.“ So kleinlaut erlebt man den stolzen Titelverteidiger von Liga und Champions League selten.

Dabei sah sich Real nach dem in allem Pomp zelebrierten Mbappé-Transfer erst recht als Meister aller Klassen. Doch noch plagen den Franzosen gewisse Anpassungsprobleme. Obwohl er im Schnitt pro Match 5,8 Torschüsse abgibt, weit mehr als jeder andere Profi in der Liga, hat er erst einmal aus dem Spiel heraus getroffen. Mbappés Übereifer darf freilich erst mal als erwartbar eingestuft werden – wie auch die zahlreichen Blessuren bei Spielern, die im Sommer kaum regeneriert haben und diese Saison wegen neuer und erweiterter Wettbewerbe bis zu 70 Matches allein im Klub bestreiten müssen.

Andere Konflikte überraschen, zuvorderst einer um Vinícius und sein Standing im Verein. Der seit jeher streitbare Brasilianer ist manchen offenbar zu weit gegangen, als er anregte, Spanien die Ausrichtung der WM 2030 zu entziehen, sollten die rassistischen Beleidigungen in den Stadien nicht abnehmen. Vinícius sei zu sehr mit Dingen außerhalb des Fußballs beschäftigt, wird nun lanciert. Dass die Ankunft eines neuen Galaktischen, wie von Skeptikern befürchtet, das sensible Ego-Gleichgewicht im Team durcheinandergebracht hat, wird dagegen bestritten. Vinícius’ Verhältnis zu Mbappé gilt als einwandfrei. Der Landsmann und angestammte Sturmpartner Rodrygo beklagte sich zuletzt jedoch schon auffallend häufig, nicht mehr ausreichende Würdigung zu erfahren.

Und über allem steht die Lücke, die Kroos hinterlassen hat. Ohne ihn fehlen Sinn und Struktur auf dem Platz – das Gespür für Pausen und Beschleunigungen, für die Wechsel zwischen direktem und elaboriertem Angriffsspiel – sowie die Souveränität am Ball, all diese Erfordernisse und Ideen auch präzise umzusetzen. Nicht zufällig folgten in San Sebastián die ersten beiden Lattentreffer der Basken jeweils Fehlern in Reals Spieleröffnung – ein Ressort, für das Kroos zuständig war.


Ist der Deutsche der schmerzlichste Verlust in einem Verein, der in den letzten Jahren so prominente Abgänge wie von Ronaldo, Ramos oder Benzema kompensieren musste? Das wurde Ancelotti am Montag gefragt. „Man kann ihn nicht ersetzen“, wiederholte der Italiener, erklärte aber auch, „dass das Thema erledigt ist: Wir müssen nach vorn schauen.“ Mit dem vielseitigen Jude Bellingham, dem jungen Arda Güler, dem Veteranen Luka Modric und dem Reservisten Dani Ceballos hat er schon allerlei Alternativen als Ballverteiler ausprobiert. Überzeugt hat bislang nur der dynamische Federico Valverde, ein anderer Spielertyp als Kroos, kein Organisator, aber solide.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen