ZUKUNFT DER ATOMENERGIE: CASTOREN ROLLEN IN DEN WAHLKAMPF
: Mit Anti-AKW wird’s wieder Ernst

Wer sich der Mühe unterzieht, Politik im Detail zu analysieren, wird sehr wohl gravierende Unterschiede zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb feststellen. Zum Beispiel in der Atompolitik: Wenn es keinen Regierungswechsel gibt, werden in der nächsten Legislaturperiode 3 der 17 deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet – Brunsbüttel, Biblis A und Neckarwestheim.

Für die Anti-Atom-Bewegung ist das ein Dilemma: Plötzlich nämlich muss sie für ebenjenen Atomausstieg kämpfen, den sie bislang stets als zu lasch abgelehnt hat. Ohnehin war die einst machtvolle Bewegung zuletzt in eine Art Halbschlaf verfallen – wegen des rot-grünen Ausstiegsgesetzes. Die einen blieben fern, weil die Sache nun ja erledigt war, die anderen kamen, um mehr gegen Trittin denn die Atomkraft zu protestieren. Jetzt plötzlich lohnt sich der Protest wieder: Ab Montag rollen nicht einfach nur Castoren von Dresden nach Ahaus. Der Tross ist vielmehr der erste Wahlkampfumzug quer durch die Republik.

Die Atomkonzerne haben stets erklärt, sich an die Absprachen mit der Regierung halten zu wollen. Natürlich können sich solche Absprachen ändern. Und natürlich sind Änderungen der bestehenden rot-grünen Absprachen höchst willkommen: Die abgeschriebenen Atomkraftwerke sind formidable Gelddruckmaschinen. Allerdings: Angela Merkels Ankündigung, die Laufzeiten verlängern zu wollen, dient zu diesem Zeitpunkt erst einmal der Selbstprofilierung. Denn das hat die Union aus dem letzten Wahlkampf gelernt: Ein Kompetenzteam ganz ohne Umweltkompetenz kommt beim Wahlvolk schlecht an. Wer in der Klimapolitik nichts zu bieten hat, nimmt eben Atomkraftwerke.

Genau das ist jetzt die strategische Chance des Anti-AKW-Protestes. Es muss ihm gelingen, schlagzeilenträchtig das „Nein zu Atomkraft“ wieder dorthin zu bringen, wo es vor dem rot-grünen Ausstiegsgesetz verankert war – in die Mitte der Bevölkerung. Dafür können die Proteste gegen die Castoren in der nächsten Woche einen überraschenden Auftakt bieten. Nur wenn eine echte Mehrheit den Atomstrom nicht mehr will, werden die christdemokratischen Wahlkampfmanager auf ein anderes Pferd setzen. NICK REIMER