„Statik ist gegen jegliches Prinzip des Gärtnerns“

Seit vier Jahrzehnten gestaltet Gabriella Pape Gärten, damit hat sie es sogar in England zu großem Ansehen gebracht. Hier spricht sie darüber, warum die deutsche Gartenkultur so schwach entwickelt ist, welche Risiken eine naturnahe Gestaltung birgt – und ob es Kunst ist, was sie da macht

Von Astrid Kaminski
(Text) und Miriam Klingl (Fotos)

Berlin-Dahlem im Sommer, ein Café im Grünen. Überall brummt und summt es. Bienen und Schmetterlinge schwirren durch Staudenbeete, während sich die Be­su­che­r:in­nen große Tortenstücke schmecken lassen.

An diesem Ort haben die Gartenarchitektin Gabriella Pape und ihre Geschäfts- und Lebenspartnerin Isabelle Van Groeningen 2008 die „Königliche Gartenakademie“ eröffnet. Einst befand sich am gleichen Ort die Königliche Gärtnerlehranstalt, ein wegweisender Ort für die Gartenkultur, 1823 von Peter Joseph Lenné in Potsdam gegründet. Heute ist die Akademie stilvolle Gärtnerei, Gastronomiebetrieb und botanische Volkshochschule in einem.

Es ist die Verbindung zwischen Ästhetik und Ökologie, die diesen Ort ausmacht. Gartenarchitektinnen sitzen im Designstudio an der Arbeit und gewähren Einblicke in ihre leuchtend bunte Entwürfe, Pflanzpläne und Moodboards. Das Glashaus daneben ist für den Empfang von 500.000 holländischen Frühlingszwiebeln vorbereitet. Nach einem Rundgang über das Gelände lädt Gabriella Pape in ihr aufgeräumtes Büro zum Gespräch.

taz: Frau Pape, wir befinden uns hier auf historischem Gebiet. Einst war an diesem Ort die Königliche Gärtnerlehranstalt, eine bis heute in Deutschland einzigartige Ausbildungsstätte für Gartenkultur und Gartenkunst. Was hat sie so einmalig gemacht?

Gabriella Pape: Es war die Mischung von Wissenschaft und Schöngeist, praktischer und theoretischer Kenntnisse, die hier gelehrt wurden. Dazu gab es sieben Hektar Außenfläche, Obstanlagen, Gewächshäuser, die nach den Bedürfnissen spezifischer Pflanzen in verschiedenen Winkeln gebaut wurden, sowie eine Zusammenarbeit mit dem Botanischen Garten, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite zur selben Zeit entstand. Eine solch vielseitige Ausbildung für Gartenkultur gibt es seit dem Dritten Reich in Deutschland nicht mehr. Vergleichbar wäre einzig die KEW School of Horticulture in London, wo ich mein Studium absolvieren durfte.

taz: England ist bekannt für seine Gartenkultur und stolz darauf. In Deutschland gibt es erst in den vergangenen Jahren wieder mehr Bewusstsein für den Wert von gestaltetem Grün.

Pape: Sie können sich nicht vorstellen, wie es 2005 war, als wir anfangen wollten, die Akademie aufzubauen. Bei wie vielen deutschen Banken ich war, um einen Kredit zu bekommen! Da saßen schlipsige Männer, nur Männer – es sei denn, da war die Sekretärin dabei. Die starrten dann noch eine Weile auf die Tür, wenn ich reinkam, als würde der Ehemann oder gar der Vater hinterher kommen. Nachdem ich mein Projekt leidenschaftlich vorgestellt hatte, kam dann eine Leier, die ungefähr so klang: „Was wollen Sie hier machen? Gärtnern? Das braucht doch kein Mensch! Machen Sie lieber etwas mit Computern, Sie sehen doch ganz pfiffig aus …“

taz: Denken Sie, dass es bei englischen Bankern einfacher gewesen wäre?

Pape: Meine Partnerin Isabelle erzählt gern eine Geschichte, die ich längst vergessen hatte. Offenbar gibt es eine Tradition des sprachlichen Nachhilfeunterrichts, den deutsche bei englischen Bankern nehmen. Dabei wohnt man in England bei den Gastgebern zu Hause. Einer der Banker, bei dem ich mich um einen Kredit bemüht hatte, absolvierte ein solches Programm. Als er zurückkam, wollte er mich noch mal sprechen und erzählte mir, dass der englische Kollege ständig über das Gärtnern geredet hätte. Irgendwann habe er dann auch etwas zur Konversation beigetragen und erzählt, eine Verrückte namens Pape hätte ein Projekt bei ihm vorgestellt, das kein Mensch versteht. Daraufhin holte sein Gastgeber eine Truhe mit Artikeln über mich hervor.

Gabriella Pape

Die Frau

Gabriella Pape, 61, ist in Hamburg geboren und auf­gewachsen. Sie absolvierte eine Lehre bei der Hamburger Baumschule Lorenz und danach ein Studium der biologisch-dynamischen Landwirtschaft in England an der renommierten KEW School for Horticulture. Für ihre Arbeit als Landschaftsarchitektin wurde sie mehrfach ausgezeichnet.

Die Garten-Influencerin

Nachdem Pape von den Ruinen der Königlichen Gärtnerlehranstalt erfuhr, entwickelte sie den Plan, das historische Terrain gemeinsam mit ihrer Partnerin Isabelle Van Groeningen – ihrerseits Gartenhistorikerin – wiederzubeleben. Beide haben mehrere Bücher zur Gartenkultur veröffentlicht, Gabriella Pape gilt inzwischen in Deutschland als wichtige Garten-Influencerin.

taz: Hat es den deutschen Banker geläutert?

Pape: Er meinte: „In England stehen die Leute irgendwie auf Ihr Zeug, aber hier in Deutschland funktioniert das nicht.“

taz: In dem von Ihnen erwähnten Buch haben Sie geschrieben, der Engländer gärtnere im Unterschied zum Deutschen mit dem Herzen.

Pape: Anders gesagt: Der Engländer kennt den Namen der Pflanze, der Deutsche den Preis. Nicht dass man in England reich wäre, aber der Preis einer Pflanze ist gegen ihre Qualität und ihren Schönheitswert absolut zweitrangig. Auch kennen die Leute sich dort aus. Sie wissen, was ihnen gefällt, sie können Sorten unterscheiden. In den verschiedensten Gesellschaftsschichten ist eine Konversation über Gärten ein beliebtes Thema. Es wirkt nicht nur sozialisierend, sondern auch solidarisierend. In Deutschland wäre es eher ein Konversationskiller, wenn jemand über seine „Harlekin“ oder über seine „Girlande d’amour“ redet.

taz: Welche Gründe sehen Sie für diese Unterschiede?

Pape: Unter anderem historische. Erstens sind die Engländer meist mit Gärten aufgewachsen. 80 Prozent der Bürger wohnen in eigenen Immobilien und haben, wenn auch nur handtuchgroß, ein Stück Garten. In Deutschland sind es etwa die Hälfte. Der eigene Garten ist hier keine gesellschaftliche Voraussetzung. Zweitens haben die Engländer nicht zwei Weltkriege angezettelt und verloren. Der Garten, der Hang zur Schönheit, musste sich nicht hinter einem schlechten Gewissen verstecken. In Deutschland galt lange eher das Motto: Nach diesem Krieg können wir doch nicht in Blumen schwelgen.

taz: Die englische Psychiaterin und Gartenautorin Sue Stuart Smith schreibt, für ihren aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Großvater sei das Gärtnern eine Überlebenshilfe gewesen.

Pape: Das Phänomen, dass Menschen im Gärtnern Halt gesucht haben, hat es nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl in England als auch in Deutschland gegeben. Auch bei meinem Großonkel war das so. Als er zurückkehrte, hatte er alles andere als eine positive Aura um sich. Bis zu seinem Tod wollte er nichts anderes mehr tun als Gärtnern. Der Garten ist eine Art Auffangbecken. Das ging mir auch so. Ich hatte viel an der jüngeren deutschen Geschichte zu knabbern, als ich aufwuchs. Der Garten war mein Zufluchtsort.

taz: Zu Coronazeiten wurde der Garten aus anderen Gründen ein Zufluchtsort, er war eine Verbindung zur Außenwelt. Hat das in Ihren Augen zu einer nachhaltigen Veränderung des Bezugs zu Pflanzen geführt?

„Ich hatte viel an der jüngeren deutschen Geschichte zu knabbern, als ich aufwuchs. Der Garten war mein Zufluchtsort“

Pape: Unsere Gärtnerei konnte sich nicht retten vor Leuten. Wir mussten die Öffnungszeiten erweitern und haben uns fast totgearbeitet. Ja, ich denke, dass sich in jener Zeit einiges geändert hat, allerdings auf Grundlage einer Bewegung, die schon davor einsetzte. Das erhöhte Bewusstsein für die Gefährdung der Natur hat einen ganz anderen Zeitgeist, einen, der mit der Natur solidarisch sein will, hervorgebracht. Die Natur wird jetzt eher als Partner wahrgenommen. Und auch der Garten als Ort der Kultur und Gestaltung ist noch mal ganz anders ins Bewusstsein gerückt. Er gehört jetzt auch hier viel mehr zum Lifestyle. Auf Instagram sieht man jede Menge junge Leute, die tolle Gartenideen teilen – oder einer gärtnernden Madonna folgen.

taz: In deutschen Publikationen wird der Begriff „Gartenkultur“ vor allem im höfischen Kontext, für die Grünanlagen von Schlössern verwendet. Die Brücke zur Gegenwart fehlt da oft.

Pape: Gartenkultur war bis Mitte des 19. Jahrhunderts kein „Gesellschaftssport“. Es gab zwar die Tradition öffentlich zugänglicher Außenanlagen von Schlössern und Landsitzen, aber das waren keine Stadtparks. Man ist auch nicht mal eben einen Tag mit der Pferdekutsche gefahren, um irgendwo in einem Park zu flanieren. Diese Möglichkeit kam erst dann näher, als die Stadtparks aufkamen – vor allem als Ausgleich für die enormen Luftverschmutzung in den Städten. Wobei die so enorm war, dass auch viele Bäume daran gestorben sind. Der Privatgarten dagegen war eher ein Ort zum Kartoffelanbau. Durch die Schrebergartenbewegung kam dann langsam ein Verständnis für den Garten als Ort der Ertüchtigung auf, als Freizeitausgleich. Dass er gar zu einem kontemplativen Ort wurde, wo man sich auch mal auf einer Gartenliege an seiner Schönheit erfreut, das ist eine verhältnismäßig neue Entwicklung – in der Generation meiner Großeltern undenkbar.

taz: Wie verwenden Sie den Begriff Gartenkultur?

Pape: Die deutsche Sprache hat leider nur dieses eine Wort, „Gartenkultur“, entwickelt. Es bezeichnet einerseits die kulturhistorisch wichtigen Gärten. Andererseits beinhaltet es, zumindest für mich, das Kultivieren der Pflanzen selbst. In vielen anderen europäischen Ländern gibt es zwei unterschiedliche Wörter dafür. „Horticulture“ von lateinisch „hortus“, der Garten: die Kultur des Gärtnerns. Und es gibt „garden culture“: die Geschichte der Gärten. Pro­ble­matisch ist in Deutschland, dass es hier zwar ein historisches Bewusstsein für Gartenkultur, aber kein zeitgenössisches Verständnis davon gibt. Es gibt zu wenig Wissen darüber, was weltweit passiert, was man mitgestalten und woran man sich ästhetisch orientieren kann. Ein Beispiel dafür ist der Vorplatz des neu gebauten Humboldtforums in Berlin. Es ist unvorstellbar für Isabelle und mich, wie so etwas in unserer Zeit passieren konnte, eine Frechheit! Was gebaut wurde, ist ein Platz für Aufmärsche und Wasserkanonen.

taz: Ich denke, damit sprechen Sie vielen Ber­li­ne­r:in­nen aus dem Herzen.

Pape: Meines Erachtens ist die Gesellschaft in dieser Beziehung schon weiter als ihre Planer. Das Problem der historischen Gartenkultur ist oft der Denkmalschutz. Man möchte etwas bewahren, es so gestalten, wie es einst war. Aber Statik ist gegen jegliches Prinzip des Gärtnerns.

taz: Wie beurteilen Sie den zeitgenössischen Umgang mit öffentlichen Grünflächen in Deutschland? Wo stehen wir?

Pape: Wir haben unfassbar langweilige Außenanlagen in Deutschland. Viele hiesige Parks sind zwar schön angelegt, aber die Randbepflanzung, das Begleitgrün ist unsäglich einfallslos, zum Beispiel die ganzen Knallerbsensträucher. Die ziehen darüber hinaus nicht eine einzige Biene oder sonst irgendetwas ökologisch Wertvolles an. Wir sind schon immer eine Nation der Extreme gewesen. Eine Zeitlang machen wir es so, dass es aussieht wie bei Jacques Tati: ein quadratischer Rasen, ein Jägerzaun, ein Carport, ein Kriechwacholder. Das kann man gut im Zaum halten. Und wenn man dann entdeckt, dass es auch anders geht, dann wird es auch wieder radikal. Jetzt haben wir das Verwahrloste entdeckt. So à la Loki Schmidt: Bloß nichts anfassen, die Natur macht das allein. Das gilt vielleicht für die Alsterauen, wo sie lebte. Ich habe auch keine Bedenken, dass die Natur sich super um unsere Städte kümmern wird, wenn wir alle verschwunden sind. Aber auf dem Weg dahin wollen wir nicht unbedingt nur zwischen Brombeerdickicht und den recht invasiven Götterbäumen leben.

taz: In den Städten funktioniert eine kenntnisreich gezähmte Natur besser als eine sich selbst überlassene?

Pape: In der Stadt geht es um urbanen Raum, um die Frage, wie wir ihn teilen. Das ist komplex. Es besteht ein großer Unterschied zwischen „naturnah“ und „verwahrlost“. Letzteres ist am Ende für den Menschen nicht mehr zu bewältigen, weder mit dem Geist noch mit den Händen. Und wenn etwas nicht mehr zu bewältigen ist, verliert der Mensch das Interesse und damit auch das Gefühl. Ein Beispiel dafür ist der Berliner Tiergarten. Da gibt es bestimmte Flächen, von denen man weiß, wie man sie in den Griff kriegt – wie den Rosengarten, der fast schon überpflegt ist. Andere Flächen lässt man verwildern. Das zeigt auch auf den Menschen Wirkung. Es kommen 500 Partygänger und pinkeln rein. Zwischen diesen beiden Extremen passiert nicht viel.

taz: Ich finde, dass sich schon einiges getan hat und beim Gang durch Städte immer mal wieder ansprechende Pflanzenkombinationen auffallen.

Pape: Das stimmt. Gesellschaftlich hat sich, wie gesagt, vieles verändert. Was es an Schönem gibt, entsteht daher fast alles aus Privatinitiative. Wie das Berliner Projekt „Kleine Plätze“ zur Pflege verwahrloster, kleiner öffentlicher Grünanlagen, deren Gründer leider in diesem Sommer verstorben ist, um nur eine der zahlreichen Privat­ini­tia­tiven und Community Gardens zu nennen. Die meisten öffentlich bestellten Grünflächen in der Stadt sind dagegen verwahrlost. Was tragisch ist. Es wird viel Geld in die Anlage von Parks oder Gärten gesteckt, aber so gut wie kein Geld in die Pflege und den Erhalt. Die Folge ist meist Verwahrlosung, und dann geht das Ganze von vorne los. Ein unglaublich unnachhaltiger Vorgang.

taz: Wenn ich zum Beispiel Wien mit Berlin vergleiche, fällt mir auf, dass die Wiener Anlagen viel gepflegter sind und dass sich das tatsächlich auf das Verhalten der Be­su­che­r:in­nen zu übertragen scheint. Müll habe ich dort selten gesehen. Andererseits wirkt Berlin viel natürlicher, auch dadurch, dass nur noch einmal im Jahr gemäht wird und dadurch viele Pflanzen wild aufkommen.

Pape: Die Spontanvegetation, die aufkommt, wenn man sich nicht kümmert, ist spannend. Nur, wie gesagt, irgendwann kann das kippen. Dann wird sich das Stärkere durchsetzen. Aber das entspricht nicht dem Ideal einer Stadt, wo wir Diversität haben möchten, wo es Menschen gibt, die mehr Schutz brauchen, und andere, die auch mal ein Kontra brauchen. So in etwa ist es auch mit den Pflanzen. Es gibt auch noch eine weitere Krux bei der Sache: Man möchte naturnah gestalten, darum denkt man, mehr Natur hieße, dass man weniger Menschen braucht. Klar, wenn man nur noch einmal im Jahr mäht statt dreimal, spart das Arbeitszeit. Aber dafür gäbe es andere Aufgaben. Der gelernte Gärtner möchte auch liebevolle Arbeit leisten, schöne Dinge tun, nicht den ganzen Tag Rasenmäher fahren und alles zu Pudding schneiden.

„Wir haben in Deutschland unfassbar langweilige Außenanlagen“

taz: Oder Laub blasen?

Pape: Das ist das Schlimmste, ein Laubbläser hat in Parks nichts zu suchen. Er bläst den Oberboden, Insekten, Mikroorganismen weg. Diese Arbeit erledigen zudem meist ungelernte Billigarbeitskräfte.

taz: Was müsste sich ändern, damit ein kreativerer Umgang mit Grünflächen entstehen kann?

Pape: Wir müssten uns mehr Experimente im Bereich des öffentlichen Grüns leisten – anerkennen, dass ästhetisch und ökologisch gestaltete Pflanzungen einerseits unseren Schönheitssinn bedienen, andererseits davon auch viel Kraft sowie sogar psychische Heilung ausgehen kann. Öffentlichen Anlagen könnten viel inspirierender wirken und auch als Vorbilder für private Gärten dienen, was zum Beispiel in Bezug auf die noch häufig vorkommenden Schottergärten ein großer Gewinn wäre.

taz: Welche Konzepte inspirieren Sie selbst als Gartengestalterin?

Pape: Im New Yorker Central Park zum Beispiel wird immer mal wieder gärtnerisch etwas ausprobiert. Das ist für die Gärtner genauso spannend wie für das Publikum. Außerdem gibt es Städte wie Nantes in Frankreich, die sehr bewusst und gezielt eine Vergrünung der Stadt angehen. 42 Prozent der versiegelten Fußwege und Straßen wurden dort schon herausgerissen und begrünt. Nun kommen viele Touristen, die bringen Geld, und davon kann man sich wiederum Gärtner leisten. Ein anderes Beispiel ist das schwedische Enköping, nordwestlich von Malmö, wo jede freie, öffentliche Stelle zu einem Pocket-Park verwandelt wurde und entlang des gesamten Stadtkanals durch kilometerlange Staudenpflanzungen ein ökologisches und vor allem ansprechendes Landschaftsbild kreiert wurde.

Gabriella Pape (rechts) und Isabelle Van Groeningen (links)

taz: Und in Deutschland?

Pape: Der von einer Stiftung betriebene Hermannshof im Baden-Württembergischen Weinheim ist ein solches Beispiel. Nein, leider muss ich sagen: war. Dort hat der geniale Landschaftsarchitekt und Gärtnermeister Cassian Schmidt gearbeitet, bis er 2023 vor die Tür gesetzt wurde. Er hat viele Menschen dazu inspiriert, einheimische und nicht einheimische Pflanzen so zu nutzen, dass Landschaften entstehen, die sich auf kreative Weise um sich selbst kümmern können. Von Cassian Schmidt ließen sich große internationale Namen inspirieren. Auch für deutsche Gestalter war der Ort sehr wichtig. Für uns Profis war das ein Pilgerort. Vor allem für Menschen, die gärtnerisch etwas verändern wollten.

taz: Warum wurde er vor die Tür gesetzt?

Pape: Das weiß kein Mensch. Angeblich sollte Geld gespart werden, wie immer in unserer Branche.

taz: Was darf ein Garten noch innerhalb einer bedrohten Natur? Wie viel Spielraum bleibt für Ästhetik und Gestaltung?

Pape: Viel. Sowohl in Gärten wie in Parks können wir Biodiversität lernen und mitgestalten. Zum Beispiel legen wir hier in Dahlem nur Rabatten an, die ohne Bewässerung auskommen. Das ist möglich, indem man die Qualität eines Orts erkennt und die Pflanzkonzepte dementsprechend anpasst. Was es dazu braucht, ist Offenheit für Veränderungen. So sind zum Beispiel Dogmen, die besagen, man solle nur einheimische Pflanzen verwenden, aus unserer Sicht Quatsch. Was mich nervt, ist die Desinformation. Während Corona kam plötzlich „die deutsche Biene“ auf, die nur auf „einheimische“, deutsche Blumen fliegt. Eine Art AfD-Biene. Es ist richtig, dass es einige wenige Bienen gibt, die tatsächlich nur von einer einzigen, einheimischen Pflanzenart abhängig sind. Das gilt aber ganz und gar nicht für die Honigbiene, was oft verwechselt wird. Eine der am meisten besuchten Pflanzen von Insekten, inklusive vieler Wildbienen, ist zum Beispiel der Lavendel, also keine deutsche Pflanze. Wenn wir über Artenvielfalt sprechen, dann kann es nicht mehr nur darum gehen, was lokal gegeben ist, sondern was unter den sich verändernden Bedingungen überlebensfähig ist. Globaler Austausch ist unschätzbar wichtig.

Blühender Ziertabak in der Königlichen Garten­akademie

taz: Gibt es eine Verbindung zwischen dem Wissen, was einst in der Gärtnerlehranstalt gelehrt wurde und heute?

Pape: Durchaus. Die Deutschen haben auch in den vergangenen 50 Jahren Einfluss auf die Gartenkultur gehabt. Die ganze Idee der Verwendung der Pflanzen nach Standorten kam hauptsächlich aus Deutschland. Man kann das vergleichen mit dem Designleitsatz „form follows function“. Bereits an der Gärtnerlehranstalt gab es Vorträge darüber. Berühmte Gärtner und Gärtnerinnen haben weltweit daran angeknüpft. Die Engländer zum Beispiel haben zuerst darüber gelacht. Die haben gesagt: Wir machen es eben so, wie es hübsch ist – das Beet als Blumenstrauß. Aber es hat sich irgendwann dann doch das Wissen durchgesetzt, dass die Pflanze sich wohlfühlen muss und der Standort nachhaltig gewählt werden sollte.

taz: In der Lehranstalt wurden bis 1927 nur Männer ausgebildet. Als Sie in den 1970er Jahren mit dem Gärtnern anfingen, waren Sie noch immer die erste weibliche Auszubildende bei der Baumschule Lorenz in Hamburg. Spielt die männliche Prägung im Gartenbereich für Sie persönlich eine Rolle?

Pape: Über die 150 Männer meiner Ausbildungsstätte habe ich irgendwie völlig hinweggesehen. Es war alles sehr freundlich und friedlich dort. Aber ich denke, intuitiv wusste ich, dass man als Frau besser sein muss, um Anerkennung zu finden. Ein dem Geschlechterdiskurs übergeordnetes Problem war jedoch die allgemein geringe gesellschaftliche Anerkennung des Berufsstands in Deutschland.

Insgesamt zehn denkmalgeschützte Glashäuser gibt es in der Königlichen Gartenakademie, jedes hat eine individuelle Größe

taz: Anders als im Museumsbereich gibt es keine öffentlich bekannten Park- oder Botanischer-Gar­ten-­Di­rek­to­r:innen in Deutschland. Wäre es nicht auch für Ihren Bereich interessant, mehr internationale Größen nach Deutschland zu holen?

Pape: Ich erzähle Ihnen einen Witz: Ich habe an das Pflanzenschutzamt geschrieben, weil ich einen Pflanzenschutzschein wollte, und mein Diplom aus der bekannten KEW School for Horticulture mitgeschickt. Aber diese Qualifikation genügte dafür in Berlin nicht. Also habe ich meinen deutschen Lehrbrief von 1981 geschickt. Das hat geklappt. Da denke ich: Ach je, das ist ja alles so kaputt. Ich darf zum Beispiel auch nicht ausbilden. Dazu musste ich extra einen Meister einstellen. Ich will mich nicht mit Klagen aufhalten, ich komme auch so zurecht, aber ich denke an all die anderen Menschen aus anderen Fachbereichen, die überall in der Welt studiert haben und das Können und Wissen hier herbringen wollen. Ich glaube, so geht es nicht weiter. Wir könnten ein kreativeres Land werden, wenn es mehr Anerkennung für Erfahrungen gäbe.

taz: Momentan läuft im und am Potsdam Museum eine Ausstellung zum „Gartenkünstler Karl Foerster“, dem wohl berühmtesten deutschen Absolventen der einstigen Königlichen Gartenlehranstalt, wo es auch eine Ausbildung zu ebenjenem „Gartenkünstler“ gab. Kann Gärtnern auch eine Kunst sein?

Pape: Das wird viel diskutiert. Es berührt die Frage über den freien Willen. Es ist ja beim Gärtnern so: Man beginnt mit einer Idee, aber die tollsten Sachen entstehen meist per Zufall. Das muss ich ehrlicherweise sagen. Darum sagen viele, die Willkür würde eine zu große Rolle spielen, um es als Kunst zu bezeichnen. Auch die Zeit spielt eine bedeutende Rolle. Ein Garten entfaltet sich. Man kann eine Vorstellung davon entwickeln, aber kein Endprodukt liefern. Meine Gärten sehen zum Zeitpunkt der Fertigstellung immer am scheußlichsten aus. Dann muss ich die Kunden überzeugen, sie zu pflegen und abzuwarten. Wenn das klappt, können sie, zusammen mit den Pflanzen und der Zeit, helfen, ein Kunstwerk sichtbar zu machen, welches mehr oder weniger intendiert war. Also ja, vielleicht ist es eine Kunst, einen großen Teil von dem anzulegen und vorauszusehen, was dann geschieht. Wenn aber jemand sagt: Das ist keine Kunst, dann ist es mir auch recht. Dann ist es, was es ist.

taz: Der Philosoph E. Cooper spricht in diesem Zusammenhang bewusst von „Mystik“, von dem, was im für die menschliche Perspektive Verborgenen stattfindet.

Pape: Ja, es geht um die Erfahrung, nicht alles beherrschen zu können. Diese menschliche Manie fing bereits im Paradies an. Seit wir in den Apfel gebissen haben, denken wir, alles besser zu machen! Aber genau darum geht es nicht. Es geht nicht um einen Kasino-Baden-Baden-Stil, also unzeitgemäße Schmuckbeete, die nur der Farben wegen gepflanzt und dann wieder herausgerissen werden. Sondern es geht um Gestaltungsprinzipien, die man nicht allein beherrschen kann. Wir wollen mit der Natur schöne Bilder kreieren.