Tiefes Seufzen

Das Sommerfest des LCB und die Hochrechnungen

Am vergangenen Sonntag um 18 Uhr machten sich vor der malerischen Kulisse des Wannsees gerade die Autorinnen Nicole Gronemeyer und Katrin Schumacher bereit, um, moderiert von Judith Schalansky, über Hühner und Füchse zu sprechen, als im Publikum, das locker verteilt über den zum See hin abfallenden Garten des Literarischen Colloquiums saß, die Handys gezückt wurden, kurz mal Hochrechnungen gucken. Daumen und Zeigefinger huschten über AfD- und BSW-Balken. Man kniff die Lippen zusammen und flüsterte sich Sätze zu. „Wie schlimm ist es?“ – „Schon schlimm.“ – „Noch schlimmer als erwartet?“ – „Nein, aber genauso schlimm wie erwartet.“ Was um einen herum folgte, war dann ein tiefes, tiefes Seufzen.

So war das diesmal beim Sommerfest, das das LCB jedes Jahr mit einem anderen Verlag ausrichtet, diesmal mit Matthes & Seitz. Es war ein glänzender, vom Wetter begünstigter Spätsommertag. Man traf die üblichen Verdächtigen, die jedes Jahr in den Berliner Westen fahren, um alte Bekanntschaften zu erneuern, neue Bekanntschaften zu knüpfen und Literaturbetriebsluft zu schnuppern. Der in vielen Diskursen unterwegs seiende Verlag hatte aber auch ein Publikum angelockt, das man in den üblichen Innenstadtbezirken und nicht unbedingt in der LCB-Villa verorten würde. Das traf man also auch. Es gab Schweinebraten mit Serviettenknödeln oder Pasta, Puppen­thea­ter für Kinder und ein vielfältiges Programm. Hanna Engelmeier führte durch ein Gespräch, in dem sich der Autor Jens Balzer („After Woke“) und der Schriftsteller Joshua Groß („Plasmatropfen“) gegenseitig versicherten, doch für suchende Texte und komplexe Gegenwartsbetrachtungen zu stehen. Marie Lui­se Knott moderierte ein Gespräch zwischen Onur Erdur und Guillaume Paoli, Peter Geimer, eine hübsche Plauderei der Au­to­r*in­nen Anne Weber und Frank Witzel, den beiden Trä­ge­r*in­nen des Deutschen Buchpreises von Matthes & Seitz also. Und es gab vieles mehr.

Es war ein entspannter Tag, einer dieser Tage, um in Gesichter zu sehen und Gedanken aufzuschnappen. Spätestens ab 18 Uhr hing dann aber auch dieses sich wappnende Seufzen über der Szenerie. Und als die Sonne in den verschwenderischen Pasteltönen unterging, die der Himmel über der deutschen Hauptstadt dann und wann hinkriegt, wie um die Schönheit selbst vor ihrem Verglühen noch einmal zu feiern, hatte das Ganze etwas von Dämmerung. Das Leuchten dieses Tages und die schlimmen Balken – man brachte die Gegenwarten nicht zusammen. Keine Pointe.

Dirk Knipphals