Mehr Spielplatz wagen

The Kids are alt-right: In Thüringen haben junge Wählende zu 38 Prozent die extrem rechte AfD gewählt. Könnte dagegen mehr politische Teilhabe für Kinder und Jugendliche helfen?

Wenn Kinder mitreden dürfen, wird’s magisch, wie dieser Spielplatz in Berlin belegt Foto: Schoening/imago

Aus Berlin Anna Laura Müller

Ganze 38 Prozent für die extrem rechte AfD – das ist laut Umfrageinstitut Infratest Dimap das Ergebnis der Erstwählenden zwischen 18 und 24 Jahren in Thüringen. Das ist eine Steigerung um 15 Prozentpunkte gegenüber der letzten Wahl im Jahr 2019. Auch in Sachsen haben 31 Prozent der jüngsten Wählergruppe der AfD ihre Stimme geben, ein Zuwachs um 11 Prozentpunkte gegenüber der letzten Landtagswahl. Fiktive U-18-Wahlen lieferten ähnliche Ergebnisse.

Schon seit der Europawahl im Juni wird bundesweit über das Wahlverhalten junger Menschen diskutiert – schon dort landete die AfD bei den 16- bis 24-Jährigen auf Platz 2, nur dicht hinter der Union. „Wir müssen als Demokraten um diese Jugend kämpfen“, hatte im Juni Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) gesagt.

Seine Sorge ist berechtigt: Wüst sprach damals bei der Vorstellung des Kinderreports 2024. Dem Report zufolge traut nur rund die Hälfte der Kinder und Jugendlichen ihrer Generation zu, sich als Erwachsene für die Demokratie einzusetzen. Auch ein klarer Auftrag ließ sich ablesen: 91 Prozent der Befragten finden, die Interessen der jungen Generation stärker sollten in der Politik berücksichtigt werden.

„Wir werden junge Menschen an Entscheidungen, die sie betreffen, beteiligen.“ Dieses Versprechen hatten SPD, Grüne und FDP sich 2021 in den Koalitionsvertrag geschrieben. Auch die UN-Kinderrechtskonvention beinhaltet ein Beteiligungsrecht, ebenso das bundesweite Kinder- und Jugendhilfegesetz. Dennoch haben viele junge Menschen nicht den Eindruck, dass sie tatsächlich mitbestimmen können. Bei der im Juni dieses Jahres veröffentlichten Sinus-Jugendstudie formulierte eine Mehrheit der befragten 14- bis 17-Jährigen, dass sie gerne mitreden und gehört werden wollen. Der meistgenannte Grund, wieso Mitsprache aus ihrer Sicht nicht funktioniert: „die Erwachsenen“.

Ein Beispiel: Seit Monaten streitet die Ampelkoalition über die Kindergrundsicherung und darüber, wie viel Geld im nächsten Haushalt in Sozialpolitik investiert werden soll. Die Kindergrundsicherung, die Kinder aus der Armut holen soll, wird es in der ursprünglich versprochenen Form nicht geben. Politiker:innen, Wis­sen­schaft­le­r:in­nen und Verbände kommen zu Wort. Doch die betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst werden eher selten gefragt.

Wunsch nach Einfluss

Abseits der Politik, in vielen Jugendhilfeeinrichtungen oder Kitas, sind Beteiligungskonzepte dagegen kaum wegzudenken. Selbst Kitakinder können oft schon mitbestimmen. In manchen Einrichtungen wird gemeinsam der Essensplan gestaltet und längst müssen nicht mehr alle Mittagsschlaf machen, wenn sie das nicht wollen. „Gerade im Kitaalter gibt es viele gute Beispiele für Beteiligung“, sagt Sebastian Schiller vom Deutschen Kinderhilfswerk. Allgemein hätten sich in den letzten 10 bis 20 Jahren eine ganze Reihe Dinge in eine positive Richtung entwickelt.

Vor allem durch Gesetzgebungen habe sich in den Kommunen die Kinder- und Jugendbeteiligung schon vielerorts etabliert, so Schiller. So können die Länder in ihren jeweiligen Gemeindeordnungen gezielte Beteiligungsmöglichkeiten schaffen. In der Brandenburger Kommunalverfassung gibt es etwa sogenannte Einmischungsrechte für Jugendliche ab 16 Jahren. Dort können junge Menschen bei Petitionen mit abstimmen und sich bei Einwohnerfragestunden beteiligen. Und in Rheinland-Pfalz können Mitglieder der Jugendvertretungen bei Sitzungen des Gemeinderats und der jeweiligen Ausschüsse mit am Tisch sitzen.

Kommunen können auch Kinder- oder Jugendparlamente in ihrer Gemeindesatzung verankern. Laut Angaben des Bundesfamilienministeriums und des Deutschen Kinderhilfswerks gibt es hierzulande allerdings nur etwa 500 repräsentative Kinder- und Jugendparlamente. Das entspricht etwa fünf Prozent aller Kommunen. Vor allem in kleinen Gemeinden existieren diese kaum. „Nur weil es ein Gesetz gibt, heißt das nicht, dass jedes Kind in ausreichendem Maße an den Entscheidungen beteiligt wird, von denen es betroffen ist“, kritisiert Schiller vom Kinderhilfswerk. „Es geht nicht darum, dass wir jetzt von Kindern regiert werden sollen, aber sie müssen ihre Wünsche, Bedürfnisse und Sichtweisen mit einbringen können.“

Ein weiteres Problem: der Fachkräftemangel. Zwar sei das Wissen, wie gute Beteiligung funktionieren kann, vielerorts vorhanden, so Schiller. Aber häufig scheitere es dann doch am fehlenden Personal. Umso mehr fordert Schiller, Beteiligung nicht bloß als Mehraufwand zu sehen: „Junge Menschen bringen eigene Ideen auch in komplexe Themen ein und können so als ganz zen­trale Ressource für gesellschaftliche Entwicklung dienen“, ist er überzeugt.

Ein solches komplexes Thema ist die Forschung. Und gerade hier gibt es sehr gute Beispiele, wie Kinder und Jugendliche eingebunden werden können. Davon konnte sich die Erziehungswissenschaftlerin Nadja Althaus von der Goethe Universität Frankfurt ein Bild machen. Von 2020 bis 2023 führte sie das partizipative Forschungsprojekt „Peer2Peer“ durch. In dem von der Bertelsmann Stiftung geförderten Projekt gingen jugendliche sogenannte Co-Forschende gemeinsam mit Wis­sen­schaft­le­r:in­nen in Workshops mit Kindern und jungen Menschen im Alter von zehn bis 22 Jahren der Frage nach: „Was brauchen Kinder und Jugendliche für ein gutes Leben?“

In insgesamt 25 Workshops bekamen 112 Teilnehmende die Möglichkeit, sich über ihre Wünsche und Sorgen auszutauschen. Die Studie kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Befragten selbst das Thema Bildung als besonders wichtig einstufen. „Der Bildungsbegriff, den Kinder und Jugendliche aufmachen, ist dabei viel mehr als nur schulische Bildung“, sagt Althaus. „Sie verstehen Bildung als ein breites Spektrum an Wissen, auch über alltagspraktische Dinge, das sie auf ihr späteres Leben vorbereitet.“

Auch schon sehr junge Menschen wollen mitgestalten bei dem, was auf ihr späteres Leben einwirkt. „Wenn man junge Menschen fragt, kommt kein Wunschkonzert heraus, also keine Rufe nach teuren Handys oder nur Süßigkeiten“, betont die Wissenschaftlerin. Beteiligungsformate seien in der Breite aber noch nicht systemisch verankert und mit genügend Ressourcen hinterlegt, kritisiert Althaus. Ein springender Punkt sei außerdem die Bereitschaft von Erwachsenen, tatsächlich offen für Veränderung zu sein, die von Kindern und jungen Erwachsenen angestoßen werde. „Partizipation ist dann erst eingelöst, wenn tatsächlich Entscheidungsmacht abgegeben wird.“

Vorbild Zauberspielplatz

Ein Projekt, bei dem genau das passiert ist, ist der im Frühjahr eröffnete Zauberspielplatz im Volkspark Wilmersdorf in Berlin. Die Idee hatte das Kinder- und Jugendparlament Charlottenburg-Wilmersdorf bereits 2020 eingebracht. Das zuständige Grünflächenamt und die engagierten Kinder und Jugendlichen arbeiteten gemeinsam an der Neugestaltung des Platzes. Entscheidend dabei war: Die jungen Menschen sollten nicht einfach nur Vorschläge von den zuständigen Erwachsenen abnicken, sondern sie wurden aktiv in die Planung eingebunden.

Auch die 15-Jährige Luiza Podgórniak war dabei. Wenn sie erzählt, wird klar, was es für die Beteiligten bedeutet, ein offenes Ohr zu finden und ernst genommen zu werden: Wie die Kinder und Jugendlichen selbst Entwürfe gestalteten, die dann an die Firmen weitergeleitet wurden, die sich für das Projekt beworben hatten. Wie diese daraus Konzepte entwickelten. Und wie auch bei der Vergabe des Auftrags Ver­tre­te­r:in­nen des Kinder- und Jugendparlaments mit im Gremium saßen, das über den Zuschlag entschied.

Dort endete die Mitbestimmung aber nicht. Auch die dann beauftragte Firma beteiligte die Kinder und Jugendlichen in den weiteren Prozess. „Bis ins kleinste Detail konnten wir unsere Wünsche äußern“, erzählt Podgórniak. Und sogar handfest mitgestalten: Ein paar der Figuren, wie Ratten und Frösche, die später ihren Platz auf dem Spielplatz fanden, wurden von den Kindern und Jugendlichen bemalt. Und auch ihr Vorschlag, Spielgeräte zu bauen, die für Roll­stuhl­fah­re­r:in­nen nutzbar sind, wurde angenommen und umgesetzt.

Ende Mai 2024 konnte der Zauberspielplatz dann das erste Mal bespielt werden. „Das Ergebnis hat unsere Erwartungen übertroffen“, so Podgórniak. Sie ist überzeugt: Kinder sollten mit entscheiden, wie ihre Lebenswelt gestaltet werden soll. „Wir sind es am Ende auch, die den Spielplatz nutzen“, sagt die Jugendliche. „Der erste Schritt ist, uns als kompetente Partner wahrzunehmen.“