Beim Friseur ins Aus geschossen

In Harburg plaudert ein Kandidat für die Bezirksamtsleitung beim Haareschneiden über sein Treffen mit der AfD. Die SPD will erstmals mit den Linken koalieren, ein Novum in Hamburg

Beim Friseur kann man schon mal ins Plaudern kommen. Blöd nur, wenn die Konkurrenz nebendran sitzt Foto: Jens Kalaene/dpa

Von Marta Ahmedov

Der eher unscheinbare Hamburger Bezirk Harburg tauchte in den vergangenen Wochen erstaunlich oft in den Medien auf. Seit der Bezirkswahl im Juni geht es hier drunter und drüber. Größtes Streitthema ist die Besetzung der Bezirks­amtsleitung. Vor sechs Jahren hatte eben diese Frage die damalige Koalition von CDU und SPD gesprengt. Während die CDU damals den ehemaligen SPDler Klaus Thorwarth vorschlug, wollte die SPD die parteilose Sophie Fredenhagen an der Spitze sehen. Die SPD kündigte schließlich die Koalition auf, wählte Fredenhagen gemeinsam mit den Stimmen von Grünen und Linken ins Amt und regierte fortan mit den Grünen.

Seit der Wahl im Juni hat Rot-Grün nun keine Mehrheit mehr. Den Sommer über fanden wieder Sondierungsgespräche zwischen CDU und SPD statt. „Die Gespräche mit der SPD liefen konstruktiv ab, und wir hatten viele Schnittmengen. Ich hatte das Gefühl, dass es eine große Kompromissbereitschaft gab“, sagt dazu der CDU-Fraktionsvorsitzende Rainer Bliefernicht.

Wäre da nicht der Elefant im Raum: die Personalie Fredenhagen. Die SPD will sie unbedingt, die CDU auf keinen Fall. Bliefernicht brachte nun wieder Thorwarth ins Spiel, der zuletzt bei allen Parteien hausieren ging, um für sich als Bezirksamtsleiter zu werben. „Klaus Thorwarth ist kein offizieller Kandidat der CDU, weder von Partei noch von Fraktion“, betont der CDU-Kreisvorsitzende André Trepoll auf taz-Nachfrage. Dennoch arrangierte der CDU-Fraktionsvorsitzende Bliefernicht die Treffen von Thorwarth mit den anderen Parteien.

Nur mit einem Treffen hatte Bliefernicht nichts zu tun: Thorwarth entschied im Alleingang, auch mit der AfD ein Bier trinken zu gehen. Vergangene Woche dann der Eklat: Beim Friseur erzählte Thorwarth freimütig von seinen vertraulichen Gesprächen mit den anderen Parteien. Über die AfD sagte er, dass er sie als Bezirksamtsleiter genauso wie alle anderen Fraktionen behandeln wolle – sie würde ja, käme sie an die Macht, „nicht gleich den Reichstag abfackeln“.

Was Thorwarth nicht wusste: Zufällig saß auch Claudia Loss beim Friseur, die am Wochenende zur Kreisvorsitzenden der SPD in Harburg gewählt wurde. „Anfangs war ich schon irritiert, wie er da aus vertraulichen Gesprächen mit anderen Fraktionen berichtete“, sagt Loss der taz. „Als er dann auch noch die AfD verharmloste, musste ich ihn zur Rede stellen. Also bin ich zu ihm gegangen und habe ihn konfrontiert.“ Thorwarth ist für die taz nicht zu erreichen, um sich zu dem Vorfall zu äußern.

Sowohl Bliefernicht als auch der CDU-Kreisvorsitzende Trepoll betonen, es käme nicht infrage, dass Thorwarth bei einer Bezirksamtsleiterwahl auf die Stimmen der AfD angewiesen wäre. „Deren Stimmen zählen wir natürlich nicht. Wir wollen eine demokratische Mehrheit“, sagt Bliefernicht der taz.

Für Claudia Loss ist nach dem Vorfall beim Friseur klar: Thorwarth darf auf keinen Fall Bezirksamtsleiter werden. Damit ist sie nicht allein. „Das Gespräch mit Herrn Thorwarth war im Wesentlichen ein Vortrag von ihm über sich selbst“, sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Bianca Blomenkamp. „Er hat uns Frauen weitestgehend ignoriert. Für uns steht nicht nur deshalb fest, dass wir ihn auf keinen Fall als Bezirksamtsleiter wählen werden.“

Auch die Linke war nicht überzeugt von Thorwarths Vorstellung. „Wir würden ihn definitiv nicht wählen“, sagt Linken-Fraktionsvorsitzender Jörn Lohmann.

Nun kommt es in Harburg voraussichtlich zu einer Koalition, die es in Hamburg bisher noch nie gegeben hat: Am Wochenende beschloss die Harburger SPD, in Rot-Rot-Grüne Koalitionsverhandlungen treten zu wollen. Auch Vertreter von Grünen und Linken sagen der taz, dass sie dafür bereitstehen. Die Linke wird dies am heutigen Mittwoch bekanntgeben, die Grünen werden am Samstag darüber abstimmen, wobei es sich nur noch um eine Formalie handeln dürfte. Es wäre das erste Mal, dass die Linke in Hamburg in Regierungsverantwortung kommt.

Für die Koalition gibt es aber noch ein großes Hindernis: Zwei Abgeordneten der SPD-Fraktion in Harburg wird vorgeworfen, sich an der Zerstörung von Wahlplakaten ihrer eigenen Vize-Fraktionsvorsitzenden beteiligt zu haben. Gegen sie und weitere Parteimitglieder laufen strafrechtliche Ermittlungen. Obwohl die Unschuldsvermutung gilt, sprach die SPD ein Betätigungsverbot für die beiden Abgeordneten innerhalb der Partei aus. Sie gelten als aussichtsreiche Kandidaten für die Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft im kommenden Jahr, dürfen nun aber nicht antreten.

„Unabhängig davon, dass natürlich die Unschuldsvermutung gilt, ist es die Aufgabe des Landesvorstands, Schaden von der Partei fern zu halten. Insofern halte ich das Vorgehen für vertretbar“, sagt Voss. Die Betroffenen weisen die Vorwürfe zurück. Bis Redaktionsschluss hat der Anwalt der Beiden auf Nachfrage der taz keine Stellungnahme ­abgegeben.

Drei weitere Abgeordnete sind ebenfalls nicht zufrieden mit der Fraktionsspitze und boykottierten am Wochenende die Kreismitgliederversammlung. Damit ist ein Drittel der Harburger SPD-Fraktion nicht auf Linie.

„Die SPD muss ihre internen Streitigkeiten in den Griff kriegen, ansonsten kann es keine Koalition geben“

Jörn Lohmann, Fraktionsvorsitzender der Linken in Harburg

„Die SPD muss ihre internen Streitigkeiten in den Griff kriegen, ansonsten kann es keine ­Koalition geben“, sagt der Linke Lohmann. Tatsächlich würde nur eine Rot-Rot-Grün-Koalition 27 Abgeordnete stellen, 26 braucht es für die Mehrheit.

Der lachende Dritte ist derzeit CDU-Mann Rainer Bliefernicht. „Ich sehe nicht, wie die SPD diese Abgeordneten wieder einfangen will. Insbesondere nicht die beiden, gegen die sie sogar Strafverfahren eingeleitet hat“, sagt er der taz. „Die Unzufriedenheit von bis zu fünf Abgeordneten in der SPD ist so groß, dass keine Mehrheit für eine weitere Amtszeit von Frau Fredenhagen gewährleistet ist.“

In dieser Rechnung tauchen noch nicht die drei Abgeordneten von Volt auf, die eine solche Mehrheit sichern könnten. Deren Fraktionsvorsitzende ­Isabel Wiest sagt der taz, dass sie ­Fredenhagen grundsätzlich für eine geeignete Kandidatin hält. Allerdings möchte Volt – wie auch die CDU – die Nachfolge der Bezirksamtsleitung am liebsten über eine öffentliche Ausschreibung klären, weshalb ihre Stimmen für Fredenhagen mindestens unsicher sind.

Wenn es zur Ausschreibung kommt, ist mit einem Bewerber ganz sicher zu rechnen: Klaus Thorwarth.