Der Waran und die Werbung

Der Knoten in den Akten. Eine Fort­s­et­zungs­ge­schich­te der etwas anderen Art (Teil 8). Heute: Wie die Verhältnisse detonierten …

Eine Story als Sinnbild für eine zerflexte Welt Foto: ap

Von Arno Frank

Was bisher geschah: Rechtsanwalt Doktor Schrunz hat mithilfe der Triaden seine Mutter beseitigen lassen. Die drei verbrecherischen Brüder aber haben seinen einzigen Mandanten Röder entführt, um an einen mysteriösen Knoten zu gelangen, der sie zu einem Schatz von unermesslichem Wert führen soll. Doch auf der Spur der Triaden ist bereits Schroppmann, der Transgender-Kommissar vom BKA – zeitweise in der Maske von Irmina Hornbach. Die echte Sandkastengespielin des Obertriaden Heinz Müller sucht derweil Rudi Röders Vater in seinem Gartenbetrieb auf und setzte den Großknöterich senior mit einem Kreuzstich ins Herz außer Gefecht, nur um von Schrunz mit einem Komodowaran bedroht zu werden. Aber Hilfe ist bereits unterwegs …

Fluchend und schnaufend salpeterte Kommissar Balthasar B. Schroppmann seinen Ford Transit über die Landstraße, dass die prähistorischen Federbeinchen nur so ächzten und der Kasten mit erfrischender Bionade auf dem Beifahrersitz nur so klapperte. Am Rückspiegel baumelte ein Bild von Theodora Schrunz, geborene Buntschuh, Mutter – und Opfer! – von Rechtsanwalt Doktor Schrunz sowie seine, Kommissar Balthasar Schroppmanns, große, wenngleich unerwiderte Liebe.

Es war allerhöchste Eisenbahn und auch sein ureigenes Handwerk, dem Schurkenschrunz das Handwerk zu legen. Bis zur Gärtnerei, dass sagte ihm in Ermangelung eines modernen Navigationsgeräts sein Instinkt, war es nicht mehr weit. Und die Gärtnerei war der Ort, das fügte sein Instinkt naseweis hinzu, an dem alle Fäden zusammenliefen. Alle Fäden. Und alle Knoten.

Auf einer langen Gerade trat er das Gaspedal durch und lauschte auf den asthmatisch fiependen Motor. In Filmen wie „Bizarre Bräute und blaue Bohnen“ oder „Der Mann, den sie Sprechposition nannten“, die er als Kind so gern gesehen und auf VHS-Kassette aufgenommen hatte, war es stets so gewesen, dass ein bereits sehr schnell fahrendes Fluchtfahrzeug, in Bedrängnis gekommen, plötzlich noch schneller fuhr – und dann noch schneller. Schon der blutjunge und mit keinerlei Wassern gewaschene Schroppmann hatte sich gefragt, woher das betreffende Fahrzeug bloß diese ungeahnten Reserven nahm.

Solcherlei philosophische Spitzfindigkeiten waren einem Transit Baujahr 1976 natürlich böhmische Dörfer und auch technisch schlicht nicht gegeben, dachte Schroppmann verdrossen, während ihn zwei Rentnerinnen auf ihren E-Bikes überholten. Den Fuß auf dem durchgetretenen Gaspedal, eine Hand am Lenkrad und die andere am Rosenkranz, der ihm als Abwehrzauber gegen „allerlei Widrigkeiten“ und als Dank für unaussprechliche Dienstleistungen einst von einem jesuitischen Großknöterich zugesteckt worden war, betete Schroppmann murmelnd, dass er nicht zu spät kam – und hätte darüber beinahe die Einfahrt zur Gärtnerei Röder verpasst …

Fieberhaft rekapitulierte Irmina Hornbach unterdessen, was sie seinerzeit beim KGB über Komodowarane gelernt hatte. Zur Brutzeit, erinnerte sie sich beflissen, nähmen die unbefiederten Hautpartien an der Kehle und im Gesicht oft leuchtende, meist rote oder orange Farben an. Sei ein Schopf oder eine Haube vorhanden, wären diese bei akuter Paarungsbereitschaft des Tieres deutlich verlängert. Oft werde zudem die gesamte Gefiederfarbe glänzender und kräftiger – hier endlich unterbrach Irmina ihre mnemotechnischen Exerzitien, weil das Erinnerte beim besten Willen nicht in Einklang zu bringen war mit der sabbernden Lefzenbestie, die sich ihr nun schwanzschwarwenzelnd näherte.

Schrunz, dem ihre Gedankenverknotungen nicht verborgen geblieben waren, trumpfte höhnisch auf: „Du Närrin hast den Komodowaran mit dem Kormoran verwechselt! Korbinian, fass!“

Mit Entsetzen und fataler Verspätung erkannte Irmina ihren Irrtum, die Brenzligkeit der Gesamtsituation sowie das nicht unwichte Detail, dass der feiste Winkeladvokat grinsend die Leine löste. Aug’ in Aug’ mit dem alles andere als paarungs-, augenscheinlich eher sprungbereiten Südseedrachen dämmerte ihr überdies, dass sie summa summarum sowie sub speciae aeternitatis am Ende ihrer biografischen Fahnenstange angelangt sein könnte.

Schroppmann trat das Gaspedal des Transit durch und betete murmelnd, dass er nicht zu spät in die Gärtnerei kam

Schon sah sie ihr bisheriges Leben wie eine Netflix-Serie an ihrem inneren Auge vorbeiziehen – kam aber nur bis zur dritten Episode in der ersten Staffel, weil plötzlich der Satz „Gas, Wasser, Dung lösen wir mit Schwung“ durchs Bild segelte. Werbung für Klempner bei Netflix? Das ist ja das Neueste, dachte Irmina, während Korbinian, der Komodowaran, tödlich getroffen und kormorangleich durch die Lüfte flickflackte. Ein altersschwacher Ford Transit rumpumpelte dampfend in den Froschteich der Gärtnerei, knotiges Wasser aufwirbelnd. Uff. Das war knapp.

Es öffnete sich die Fahrertür, und heraus purzelte – Kommissar Balthasar B. Schroppmann! Irmina erstarrte. Das konnte nicht sein. Und auch Schrunz meldete berechtigten Protest an: „Das kann nicht sein!“, gab er brüllend zu bedenken, „Schroppmann und Irmina sind ein und dieselbe Person! Womit geht es hier zu? Mit rechten Dingen doch ganz gewiss nicht!“

Schroppmann und Irmina wechselten einen bedeutungshochschwangeren Blick. Dann griffen sich beide an ihr jeweils eigenes Kinn – und zogen sich mit einem Ruck die Latexmasken vom Gesicht …

Fortsetzung demnächst