Widerspruch ist tanzbar

KONGO Poetisch, düster und prophetisch: Faustin Linyekula präsentierte beim Tanz im August sein musikalisches Stück „More, more, more … future“

Der Gesang kommt wie ein Wutanfall. „Packt euren Champagner ein, macht die Musik aus“, dröhnt die tiefe Stimme des Mannes im goldenen Glitzeranzug. Er singt auf Französisch, hinter ihm, auf einer großen Leinwand, erscheint der Text noch einmal auf Französisch und Deutsch. Schon das unterscheidet die Aufführung der Sänger und Musiker der Band des Kongolesen Flamme Kapaya im Hebbeltheater vom gewohnten Rahmen eines Konzerts. Der Text des Dichters Antoine Vumulia Muhindo, poetisch, düster und prophetisch, ist an diesem Abend die Botschaft.

Faustin Linyekula, ein Choreograf, hat die Musiker für sein Stück „More more more … future“ auf die Bühne geholt. Er ist selbst mit zwei weiteren Tänzern in barock gerüschten Kostümen aus Plastiktüten dabei. Manchmal verhalten sie sich einfach wie Fans der Musiker, die sich ergreifen und herumwirbeln lassen von deren Funk und Punkattitüden, manchmal klettern sie den Gitarristen aber auch wie eifersüchtig auf deren Kraft auf die Schultern und lassen sich kaum mehr abschütteln.

Alles, was sie haben

Was der Abend damit ausstellt, ist die Notwendigkeit der Musik, ihrer Energie, ihrer Verführung, ihrer Wut. „Macht die Musik aus“, dröhnt der Sänger zwar, weil er im Hedonismus der ewigen Party keine Zukunft mehr sieht für eine Stadt wie Kinshasa, deren Perspektivlosigkeit die Folie seiner pathetischen Zeilen ist. Die Musik ist aber auch alles, was sie haben, und deshalb geht die Party weiter über die 90 Minuten des Stücks und beschert zumindest uns, dem Publikum, fern vom Kongo, einen sehr aufregenden Abend.

Aus diesem Widerspruch lebt „More, more, more … future“, das den Gestus der Forderung, der Teilhabe an mehr von allem, schon im Titel trägt. Es ist ein schillernder Bastard, nicht nur was die grob einander in die Stimmen fallenden Musikstile angeht, von diesseits und jenseits des Black Atlantic. Sondern auch in den Kostümen von Xuly Bet aus Paris, die grandios mit den Zeichen der Armut und der Sehnsucht nach Glamour umgehen. Und auch in den Tänzen steckt dieses Hybride, die, was einmal authentisch afrikanisch gewesen sein mag, in einen Topf werfen mit dessen Parodie. Gelegentlich verlieren sie sich auch in absurd zierlichen Arabesken. Manchmal erinnern die Tänzer in ihren Rüschen an Libellen, die keinen Fluss und keine Wiese mehr finden, sondern nur noch von Scherben übersäte Flächen. „Kein Herz mehr für Späße, keine Zeit für Angebereien, wir drehen den Mythen den Hals um“, ordnet derweil der goldene Zeremonienmeister an.

Führt in die Irre

Faustin Linyekulas Stück ist die zweite Produktion afrikanischer Künstler, mit großem Support aus Frankreich und Belgien, die das Festival „Tanz im August“ zeigte. Deshalb schon von einem Boom afrikanischer Künstler zu sprechen, führt freilich in die Irre: Auch wenn ihre Produktionen zu Aushängeschildern auf europäischen Festivals werden – Linyekula bekam für sein Stück auf dem Kunstenfestival in Brüssel schon einen Preis verliehen –, so sind sie doch immer noch Ausnahmen, die nur als internationale Koproduktionen zustande kommen können.

Zum Motto des diesjährigen Tanz im August, „Listen“, das die unterschiedlichen Verknüpfungen von Tanz und Musik in den Vordergrund rückt, erzählt Linyekulas Projekt sehr viel. Die aus unterschiedlichsten Wurzeln gespeiste Musik von Flamme Kapaya, eng verwandt mit dem Pop der Nachtklubs von Kinshasa, ist doch alles, was übrig bleibt an Identitätsstiftung; über alles andere ist der apokalyptische Sturm hinweggefegt, der im balladesken Gesang beschworen wird. Das ist ebenso bestürzend wie hoffnungsvoll. Denn wie aus der Musik dann doch etwas Neues hervorgehen kann, demonstriert das Stück ja gerade auch.

KATRIN BETTINA MÜLLER

www.tanzimaugust.de