Wahlen in Sachsen und Thüringen: Wie ich kurz der AfD die Daumen drückte

Es ist kaum verdaulich, was in Thüringen und Sachsen gewählt wurde. Da kann einem eine paradoxe Wut auf Demokraten wegen der Antidemokraten kommen.

Eine Frau steckt ihren Stimmzettel in die Wahlurne in einem Wahllokal

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Jetzt kommt Brandenburg Foto: Jan Woitas/picture alliance/dpa

Wenige Stunden nach der 18-Uhr-Prognose am vergangenen Wahlabend und einige hanebüchene Politiker-Statements später sollte für mich der eigentliche Schock erst noch kommen: Ich erwischte mich dabei, der Sachsen-AfD im knappen Rennen um Platz eins die Daumen zu drücken.

Es war zwar nur ein kurzer Moment, aber er dauerte viel zu lang. Gott im Himmel, dachte ich, na, dann sollen die halt auch dort stärkste Kraft werden.

Es war bestimmt ein Affektstau. Ich war aufgebracht. Ein Instant-Wutbürger

Icke. Antirassistischer taz-Autor und selbsternannter Menschen-Connaisseur, vor dem Bildschirm in seinem safe-spacigen Berliner Kleinod. Was zur Hölle…?! Natürlich ist das alles ohne jeden Sinn und Verstand. Aber was ist denn heute noch mit Sinn und Verstand!?

Es war bestimmt eine Art Affektstau, der sich schließlich in jenem kurzen Moment entladen hat. Ich war aufgebracht. Ein Instant-Wutbürger. Memento wuti. Paradoxe Wut auf parteipolitische Demokraten wegen der Antidemokraten.

Die ersten Reaktionen der CDU waren aber auch schier unerträglich. Als hätten sie die absolute Mehrheit geholt. Dabei haben sie in Sachsen und Thüringen ihr schlechtestes beziehungsweise zweitschlechtestes Wahlergebnis seit 1990 eingefahren. Laut ARD stimmten mehr als die Hälfte der CDU-Wähler:innen nur deshalb für die CDU, „damit die AfD nicht zu viel Einfluss bekommt“. In beiden Ländern erlangte selbige jeweils über 30 Prozent – und das trotz (oder wegen?) Rekordwahlbeteiligung.

In den Altersgruppen unter 35 wurden die Rechtsextremen mit Abstand stärkste Kraft. Bei den 18- bis 24-Jährigen in Thüringen bekamen sie den höchsten Stimmenanteil unter allen (!) Altersgruppen. Wie kann man sich da als CDU so dermaßen selbstbesoffen feiern, allemal nach Monaten der fahrlässigen Anbiederung an rechtsextremes Framing?

Es ist beileibe nicht nur die CDU. Olaf Scholz’ erste und zugleich mutmaßlich aufgewühlteste Reaktion auf den Wahlausgang lautete: „Bitter!“ Na, dann. Für seine unsortierten emotionalen Verhältnisse wahrscheinlich ein Kraftausdruck sondergleichen. Saskia Esken sagte am Tag nach der Wahl bezüglich einer erneuten – recht aussichtslosen – Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz, man habe kurz vor der vergangenen Bundestagswahl den Wind gedreht, das werde auch diesmal gelingen. Aha. Na, dann bleibt nur zu hoffen, dass Armin Laschet und Annalena Baerbock auch noch mal antreten.

Christian Lindner, mit seiner FDP bald nur noch in einer Petrischale unter einem Mikroskop sichtbar, schoss gleich weiter: „Die Leute (haben) die Schnauze voll davon, dass der Staat die Kontrolle möglicherweise verloren hat bei Einwanderung und Asyl nach Deutschland.“ Als wenn die Strategie, von der rechten Standspur aus gegen die eigene Koalition zu koffern, in der Vergangenheit genauso gutgegangen wäre, wie auch diesmal nicht.

Uff. Die Grünen lecken immerhin öffentlich Wunden, ihre Selbstkritik ist aber ein Allgemeinplatz und bislang ohne echte Konsequenz.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Was bleibt? Ein naiver Streich meines inneren rechten Trolls ohne schlimme Folgen, aber als Beweis eines kaum noch erträglichen wutgeleiteten Ohnmachtsgefühls. Was noch? Tausende Wahlkämpfer:innen, die nicht nur in Sachsen und Thüringen authentisch, integer und wahrhaftig den Antidemokraten die Stirn bieten, ohne in der großstädtischen Anonymität der Masse Schutz suchen zu können. Mein Respekt und meine Bewunderung für ihren Mut und ihre echte Heimatliebe.

Hoffentlich haben sie die bessere Kondition als ihr schnapp­at­men­des Spitzenpersonal im geistigen Bermudadreieck zwischen Berliner Politik-Bubble, Medienzirkus der Hauptstadtredaktionen und Schreihalsigkeit der eigenen Social-Media-Communitys. Shoutouts für Brandenburg in zwei Wochen!

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Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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