der leitartikel
: CDU und BSW müssen zusammenarbeiten, um die AfD von der Macht fernzuhalten

Von Stefan Reinecke

In Dresden und Erfurt werden CDU und BSW versuchen, Regierungen zu bilden. Das wird ein zäher Prozess, der Monate dauern kann. Die Regierungen, die dort vielleicht entstehen, werden Negativkoalitionen sein – gebildet, um die Rechtsextremen von der Macht fernzuhalten.

Für dieses politische Experiment sind CDU und BSW nicht gut präpariert. Die CDU darf in Thüringen wegen eines surrealen Unvereinbarkeitsbeschlusses zwar mit den Putin-Fans des BSW regieren, nicht aber mit der Linkspartei von Bodo Ramelow, der als Landesvater christlicher als die CDU und sozialdemokratischer als die SPD wirkte. Das westdeutsche Parteiensystem hat im Osten mitunter dysfunk­tio­nale Effekte.

Stefan Reinecke

arbeitet im Parlaments­büro der taz mit den Schwerpunkten SPD und BSW.

Ein Problem auf dem Weg zu stabilen Regierungen ist Sahra Wagenknechts Ansage, dass sich CDU und SPD gegen die Stationierung von US-Raketen und gegen mehr Waffen für die Ukraine bekennen müssen. Realpolitisch hat das wenig Sinn. Die US-Raketen werden im Westen stationiert, die CDU ist dafür nicht verantwortlich. Und selbst wenn Sachsen und Thüringen im Bundesrat Initiativen für weniger Waffen und Raketen einbringen würden – sie würden abgelehnt. Ende der Durchsage.

Doch Wagenknecht braucht „Frieden“ als sinnstiftende Chiffre, um den Graben zwischen der populistischen Hybris, dass alles mit einem Fingerschnipsen ganz anders sein könnte, und der kleinteiligen Landespolitik (keine Tablets in Grundschulen) zu überbrücken. Das BSW lebt von dem Versprechen radikaler Komplexitätsreduzierung, der Illusion, die Mühen politischen Handelns in Mehrebenensystemen könnten einfach weggepustet werden.

Es kann am Ende in Erfurt und Dresden stabile Regierungen geben, als Koalitionen oder mit verbindlichen Tolerierungen. Dafür wird geschickte Wortdrechslerei nötig sein, um die für die CDU heilige Westbindung und BSW-Friedensparolen in Kompromissformeln zu verknüpfen. Auch das BSW kann mitspielen. Die Rolle als Juniorpartner in einer Landesregierung gefährdet zwar Wagenknechts Stilisierung als moralischer Konterpart der Mächtigen. Ob sie die Regierungsbeteiligungen will, ist offen. Und das BSW ist eine autoritär geführte Top-down-Organisation. Aber wenn die BSW-Fraktionen in Erfurt und Dresden mitregieren wollen (wofür einiges spricht), haben sie Druckmittel in der Hand. Zoff oder gar eine Spaltung würden Wagenknechts Chancen bei der Bundestagswahl 2025 ruinieren. Rhetorisch rüstet die BSW-Spitze gerade ab: Man biegt von „Keine Waffen für die Ukraine“ zur Formel „Mehr Diplomatie“ ab.

Die Erwartung, dass sich Faschisten im Amt selbst entzaubern, ist in Deutschland schon einmal herb enttäuscht worden

Aber lohnt das? Für das Gelingen dieser Anti-AfD-Regierung müssen sich alle Beteiligten bis an die Schmerzgrenze verrenken. Die Alle-gegen-einen-Dramaturgie bekräftigt die Opfererzählung der AfD. Vielleicht macht dieses letzte Antifa-Aufgebot die AfD in fünf Jahren ja noch stärker. Vielleicht haben gerade Regierungen, in denen zusammenkommt, was nicht zusammengehört, den Effekt, zu beflügeln, was verhindert werden soll.

So kann es kommen. Aber was ist die Alternative? Christdemokraten wie Roderich Kiesewetter fordern einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit dem BSW, weil man mit Putin-Anhängern nicht regieren dürfe. Solche politischen Selbstfesselungen richten in diesem unübersichtlichen Gelände Schaden an. Der Preis wäre eine Lähmung der Demokraten. Falls sich CDU, BSW, SPD und Linkspartei in Erfurt politisch blockieren, könnte Björn ­Höcke sogar Ministerpräsident werden. Dann könnten den Rechts­ex­tre­men in einem dritten Wahlgang ihre eigenen Stimmen reichen. Die Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen 2020 hat gezeigt, dass böse Überraschungen möglich sind.

Illustration: Robert Samuel Hanson

Man sollte nach den AfD-Erfolgen erkennen, dass Dämonisierungen nicht viel nutzen. Brandmauern zu beschwören, wenn AfD-Kandidaten fast 50 Prozent bekommen, ist bloße moralische Selbstertüchtigung. Aber Höcke als Ministerpräsident, selbst wenn er machtlos, weil ohne Mehrheit wäre? Das ist mehr als fahrlässig. Höcke ist der radikalste Vertreter des faschistischen Flügels der AfD. Er zielt auf ein ethnisch bereinigtes Deutschland, er will die Demokratie zerstören. Die Erwartung, dass sich Faschisten im Amt selbst entzaubern, ist in Deutschland schon einmal herb enttäuscht worden. Wenn demokratische Parteien zulassen, dass in Erfurt ein Faschist an die Macht kommt: Wie soll die Union die AfD dann anderswo auf Distanz halten?

Kurzum: Die CDU-BSW-SPD-Regierungen sind nicht schön, aber nötig. Sie sind der Griff zur Notbremse. Die Gefahr, dass der Zug sonst entgleist, ist real.

Mehr zu Thüringen und Sachsen nach den Wahlen im Bundestalk, dem politischen Podcast der taz