Plattmachen ohne Plan

Ende September muss das „Klassenzimmer der Zukunft“ in Hellersdorf schließen. Der alternative Bildungsstandort soll einem Schulneubau weichen. Obwohl der Baubeginn noch in weiter Ferne liegt, wird eine Verlängerung der temporären Nutzung verwehrt

Das „Klassenzimmer der Zukunft“ soll weg, dabei liegt noch nicht einmal ein Bauablaufplan vor Foto: Thomas Bruns

Von Emma Dörmann

Etliche Trampelpfade führen vom U-Bahnhof Cottbusser Platz in Hellersdorf über eine weite Brache zu einem Messepavillon aus den 70er Jahren, dem „Klassenzimmer der Zukunft“. Es ist das Herzstück des seit 2020 von der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (ngbk) am Auerbacher Ring betriebene Projekt Place Internationale. Inmitten der sechsgeschossigen Ost-Plattenbauten wirkt der ursprünglich für eine Bank gebaute West-Pavillon wie ein Ufo. Gelandet ist der Ausstellungs- und Veranstaltungsraum auch erst vor wenigen Monaten. Geht es nach dem Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf, wird er demnächst aber auch schon wieder abheben und verschwinden.

Zum 30. September soll das Klassenzimmer der Zukunft dichtgemacht werden. Auch ein benachbarter Gemeinschaftsgarten, der beliebte Wandergarten Hellwichstorp, muss das Gelände räumen. Begründung des Bezirks: Die Flächen werden für einen Schulneubau gebraucht. Dabei liegt nach Angaben der Senatsbildungsverwaltung bislang noch nicht einmal ein „entsprechender Bauablaufplan“ vor. Derzeit läuft lediglich eine artenschutzrechtliche Untersuchung. Aber auch die werde erst im 1. Halbjahr 2025 abgeschlossen sein, heißt es.

Trotzdem müssen die Projekte schon jetzt weg. Und Ausweichflächen will der Bezirk nicht zur Verfügung stellen. Dementsprechend tief sitzt der Frust bei den Betroffenen. „Niemand hört uns zu“, sagt Rohit Arora vom An­woh­ne­r:in­nen­bei­rat Zwischenräume. Zusammen mit dem Quartiersrat Boulevard Kastanienallee hatte der an die Alice-Salomon-Hochschule angebundene An­woh­ne­r:in­nen­bei­rat Mitte Juli eine Petition veröffentlicht. Geändert hat auch das nichts.

Das Bezirksamt bleibt hart: Für den im günstigsten Fall in einem Jahr beginnenden Bau einer Gemeinschaftsschule mit 625 Plätzen müsse das künftige Baufeld umgehend „freigemacht“ werden. Rückendeckung erhält der Bezirk von der Senatsbildungsverwaltung. „Diese Vorbereitungen sind notwendig, um den planmäßigen Beginn der Bauarbeiten im Jahr 2025 zu gewährleisten und die langfristige Umsetzung moderner und nachhaltiger Bildungsinfrastruktur sicherzustellen“, teilt Schulbaustaatssekretär Torsten Kühne (CDU) auf Nachfrage der taz mit.

Die Maßnahme ist Teil der Schulbauoffensive des Senats, mit der berlinweit dringend benötigte Schulplätze geschaffen werden sollen. Auch der An­woh­ne­r:in­nen­bei­rat und der Quartiersrat begrüßen das, zumal in der Gegend insbesondere Grundschulplätze Mangelware sind. Gleichwohl kritisieren sie, dass hier eine Baufeldfreimachung durchgeführt wird, obwohl man nach Auskunft des zuständigen Bezirksstadtrats Stephan Bley (CDU) mit der Planung des Schulneubaus bei diesem Standort erst „ganz am Anfang“ steht. Ähnliches habe es andernorts in Marzahn-Hellersdorf auch gegeben – und nichts sei passiert nach der Baufeld­freimachung.

Dass das Klassenzimmer der Zukunft und der Wandergarten Hellwichstorp wenig Chancen haben zu bleiben, ist klar. Beide dürfen das Gelände nach einer Vereinbarung mit dem Schulamt nur temporär nutzen. Und der Bezirk macht keinerlei Anstalten, die temporäre Nutzung über den 30. September hinaus zu dulden.

Der An­woh­ne­r:in­nen­bei­rat und der Quartiersrat wollen das nicht hinnehmen und verweisen auf die Bedeutung der Orte für den Kiez. So bieten die beiden Projekte einen Raum für Diskussionen und Ausstellungen aller Art.

Aktuell läuft die ngbk-Ausstellung „Laborschule Berlin“, die „zu einem Nachdenken über eine Schule der Zukunft anregen“ soll. Auf dem Boden liegt ein Plan des Geländes, Kinder durften ihre Wünsche darauf malen. Viele wünschen sich ganz offenkundig Unterricht in und mit der Natur. „Wir haben hier eine Verflechtung der Zivilgesellschaft geschaffen, wobei die Prinzipien der Gemeinschaft, Nachhaltigkeit und Bildung im Vordergrund stehen“, sagt Adam Page von der ngbk. So gab es ein Projekt mit der nahen Grundschule am Schleipfuhl, bei dem die Kinder über alle Jahreszeiten hinweg die Veränderungen der Natur beobachten und dokumentieren wollten. Das wurde nun aufgrund der bevorstehenden Räumung abgebrochen. Die Schü­le­r:in­nen seien enttäuscht, sagt Page.

Die Viertel rund um den U-Bahnhof Cottbusser Platz gehören zu den Hochburgen der AfD in Berlin. Bei der Europawahl kamen die Rechtsextremen hier auf 35 Prozent und mehr, gleichzeitig ist aber auch nicht mal je­de:r Zwei­te:r überhaupt zur Wahl gegangen. Ungeachtet dessen, heißt es vom Quartiersrat und Anwohner:innenbeirat, gebe es in dem Wohngebiet anders als in vielen anderen Plattenbaugegenden Marzahn-Hellersdorfs ein reges bürgerschaftliches Engagement.

So kämpften die Menschen vor Ort selbstverständlich dafür, die zukünftige Nutzung der Riesenfreifläche mitgestalten zu können. Für sie heißt das, dass das vorhandene Bildungsangebot Klassenzimmer der Zukunft und der Gemeinschaftsgarten nicht plattgemacht, sondern in die Planung einer irgendwann vielleicht tatsächlich fertiggestellten Neubauschule miteinbezogen werden.

Staatssekretär Kühne schließt das aus: „Wie auch bereits mehrfach gegenüber den Projektverantwortlichen erläutert, handelt es sich bei dem Schulneubau um einen Typenbau. Insofern ist eine Anpassung an die örtliche Gegebenheit nur sehr eingeschränkt und höchstens im Bereich der Außenanlagen denkbar.“ Ein Unding, findet Siegfried Nord vom Quartiersrat: „Man hat den einfacheren Weg gewählt, ohne darauf zu achten, was das Umfeld wirklich braucht“, ärgert er sich.

Die Menschen wollen die künftige Freifläche mitgestalten

„Die bestehenden Projekte und Bildungsangebote am Standort sind wertvoll und werden geschätzt“, beteuert Kühne. Und doch gibt es kaum einen Austausch zwischen Senat und engagierten Anwohner:innen. „Dabei ist es doch genau das, was die Politik von uns erwartet“, sagt Nord. Und: Wenn man schon einen besonderen Ort für einen Austausch zwischen Anwohner:innen, Künstler:innen, Schü­le­r:in­nen und Studierenden der Hochschule geschaffen hat, warum ihn dann abreißen? „Wir sind nicht gegen den Schulneubau, aber schaut genauer hin und macht es mit einem Beteiligungsformat besser“, appelliert Nord an die politisch Verantwortlichen.

Ebendiese Besserung ist zumindest am Auerbacher Ring nicht in Sicht. So lässt das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf in einer Antwort der Bildungsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus zu dem Bauvorhaben wissen: „Gesonderte Beteiligungsverfahren hinsichtlich Art und Weise beziehungsweise Errichtung dieses Typenbaus für Bürgerinnen und Bürger beziehungsweise Anwohnende sind im Rahmen dieses Schnellbauprogramms nicht vorgesehen.“

Man werde die An­woh­ne­r:in­nen „per Schreiben“ informieren, sobald „die standortbezogenen Planungsergebnisse“ der hier federführenden Senatsbauverwaltung vorliegen, heißt es vom Bezirksamt. Das Klassenzimmer der Zukunft und der Wandergarten Hellwichstorp werden dann schon lange Geschichte sein.