Christiane RösingerAus dem Leben einer Boomerin
: Boomerin und stolz drauf

Foto: privat

Ich muss sagen, ich bin gerne Boomerin. Das Wort hört sich schön an, nach „La Boum – die Fete“ oder „Boomer, der Streuner“, viel besser als „Millennial“ oder „Gen Z“. Ab und zu versucht mal einer den lahmen „Ok Boomer“-Witz anzubringen – who cares!

Ich bin Boomerin – dieses Statement hat so was Unvernünftiges, Jugendliches. Klingt viel schöner als Silver Ager, Best Ager, Golden Ager oder gar Seniorin. Es klingt jünger und jünger wollen ja alle klingen, nicht nur die Boomerinnen.

Keiner will älter oder alt werden, das liegt angeblich an der Stadt. Einer der vielen Vorwürfe an Berlin lautet, dass hier niemand erwachsen werden wolle und erst recht nicht alt.

Ganz Berlin leide am Peter-Pan-Syndrom und gleiche einem runtergekommenen Neverland, so die Berlinkritiker.

In Berlin-Neverland trage man gerne Kapuzenpullis, Cargohosen, Jeans und Turnschuhe, man kleide sich weniger schick und bürgerlich, hier sehe man 40-Plus-Leute noch BMX fahren, Skaten, Plattenkisten auf Flohmärkten durchwühlen, in Clubs und auf Konzerten abhängen. Ich würde dem zustimmen, aber auf 60-Plus erweitern.

Diese städtische Freiheit, jung und anders zu bleiben, hat natürlich für die Boomerin auch Schattenseiten. Überall sieht sie hinter den Glasfronten der Co-Working-Spaces und Start-ups ­bärtige Werbedeppen, die an ­Kaffeemaschinen rum­slacken und beim Tischfußball in der Brain­stormingpause rumbrüllen wie ­Vierzehnjährige. Oder ist das auch schon wieder vorbei? Als Boomerin kommt man da manchmal nicht hinterher.

Das Peter-Pan-Syndrom zeigt sich ja in jeder Dekade mit neuen Trends. Um die Jahrtausendwende konnte man in den In-Bezirken einen geschlechterübergreifenden Kindheitsretrotrend beobachten: Rollerfahren, Zöpfchen flechten, Schürzchen tragen, sticken. Interessanterweise spielten die damals Dreißigjährigen nicht ihre eigene, sondern eher eine Sechziger- oder Siebzigerjahre-Kindheit nach.

In Restaurants bekam man handgeschriebene Zettelchen oder Schulhefte statt Speisekarten vorgelegt. Etwa 2010 übernahm man auch kulinarisch den Kindheitstrend. Es wurden vermehrt bunte, weiche Kuchen angeboten. Das Leben sollte ein einziger Kindergeburtstag sein. Zur Beschreibung dieses Phänomens wurde das schöne Wort „cupcakification“ erfunden.

Weil alle kindlich-jugendlich sein wollten, mussten die echt jungen Leute bis zum Säuglingsalter zurückgehen: Sie bildeten eine Vorliebe für Brei und Flüssignahrung aus. Überall gab es plötzlich pürierte Suppen und Smoothies.

Eine der vielen Vorwürfe an Berlin lautet, dass hier niemand erwachsen werden wolle und erst recht nicht alt

Und nun wird die ewige Kindheit auch sprachlich manifestiert. Erwachsene Menschen sprechen und schreiben wie Fünfjährige, sagen zum Beispiel „mein Papa und meine Mama“. Gestandene Musiker und Musikerinnen teilen in den sozialen Medien mit, sie „dürfen ein Konzert spielen“ sie „dürfen auf der Bühne stehen“, als habe es ihnen ihre „Mama“ und ihr „Papa“ erlaubt.

Die Boomerin hingegen hat die Kindheit lange zurückgelassen, wundert sich über Zeiterscheinungen, ­versucht dabei nicht allzu pessimistisch und grantig, sondern ganz boomeresk auf lieblich-woke Art älter zu werden.