LESERINNENBRIEFE
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Keine Gottesdienstveranstaltung

■ betr.: „Sich im Unbehaglichen einrichten“ von Micha Brumlik,taz vom 27. 3. 12

Die Überschrift erstaunt ein wenig: Eine kontroverse Debatte habe es auf der Habermas-Tagung gegeben. Die Ausführungen von Ingo Elbe wurden tatsächlich zwar nicht geteilt, kontrovers debattiert wurde seine fundamentale Kritik der Habermas’schen Marx-Rezeption allerdings nicht. Stattdessen wurde dem Marx-Experten „philologische Selbstbefriedigung“ vorgeworfen, und man sah sich in keiner Weise genötigt, sachlich auf die begründet vorgetragenen Thesen einzugehen.

Stattdessen wurde auch, obwohl eigentlich nicht Marx, sondern Habermas Thema war, die unzweifelhaft rhetorisch intendierte Frage nach dem politischen Nutzen der Marx’schen Wertformanalyse gestellt. Es ist nicht nur falsch, dass Elbe dazu „kein Wort zu entlocken“ war. Seine Antwort war der Hinweis darauf, dass mit ihr nicht nur die Krisen des Kapitalismus, sondern die kapitalistischen Verhältnisse selbst zu kritisieren seien, die ja nun schon genug Leid zutage fördern. Es erscheint mir darüber hinaus absurd und insbesondere unredlich, dem mit großem Abstand jüngsten Referenten und beinah einzigen Nichtinhaber eines Professorentitels den „Tonfall eines Oberlehrers“ nachzusagen. Im Gegensatz zu seinen Schülern brachten Jürgen Habermas die Elbe’schen Ausführungen auch nicht aus der Fassung.

Engels’ Geist mag über der Tagung geschwebt sein, aber Marx hat sich sicher nicht, wie man Elbe vorwarf, ausgerechnet bei dessen Ausführungen im Grabe umgedreht. Höchstens, um sich bequem hinzulegen und seinem erhellenden Vortrag zu lauschen. Er sorgte erfrischend dafür, dass man die Veranstaltung nicht mit einem Gottesdienst verwechseln konnte. SONJA SCHNITZLER, Bochum

Mit den Piraten wird alles besser!

■ betr.: „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch? Die Piraten sind ein Glücksfall …“, taz vom 2. 4. 12

„Die Piraten sind ein Glücksfall“ – ja, prima! Es braucht nur ein paar Politiker, die laut eigener Aussage „noch keine Ahnung haben“, und dazu irgendeine technische Möglichkeit, mit der jeder Deutsche die Geschicke des Landes irgendwie mitbestimmen kann. Und schon sind die ewigen Nörgler und Besserwisser überzeugt, in der Piratenpartei die Lösung für die Probleme unserer heutigen Zeit gefunden zu haben! WALTRAUD ENDERLE, Lauffen

An Bord der Piraten

■ betr.: „Sind die Piraten die bessere FDP? Die Piraten sind für Freiheit im Netz und gegen zu viel Staat“, sonntaz vom 31. 3. 12

Bei dem, was diese sogenannten Piraten von sich geben, drängt sich doch die Frage auf, was wollen die eigentlich? Gestern war einer von ihnen bei Anne Will. Warum, weiß er wohl selbst nicht.

Danach hatte ich einen Albtraum: Ich saß in einem Flugzeug. Nachdem die Bordtüren geschlossen waren, kam eine Ansage über die Lautsprecher: „Willkommen an Bord der Piraten. Wir haben zwar weder eine Ahnung, wie man so ein Ding fliegt, noch wissen wir, wohin wir eigentlich wollen, freuen uns aber umso mehr, Sie auf unserem Blindflug nach Wolkenkuckucksheim begrüßen zu dürfen.“ Da beugt sich eine ältere Dame zu mir herüber und sagt lächelnd: „Eins muss man ihnen lassen. Die sind wenigstens ehrlich. Und so erfrischend.“

DIETER WEISSBACH, München

Die Ideen der Piraten bleiben

■ betr.: „Die Piraten – eine politische Eintagsfliege?“ Pro von Bettina Gaus, Contra von Daniel Bax, taz v. 29. 3. 12

Die Worte „Wut und Eitelkeit“ beschreiben weder die Partei der Piraten noch die Statements, die Bettina Gaus aufführt. Um etwas anders machen zu wollen als die etablierten Parteien, wird vielleicht Selbstbewusstsein gebraucht, wie Daniel Bax richtig schreibt, „Wut“ ist zu emotional und bringt es nicht auf den Punkt. Wie Gaus den Piraten „Eitelkeit“ zuschreiben kann, kann nachvollziehen, wer will, ihre Begründung ist eine vage Konstruktion. „Selbstbewusstsein und Demut“ wäre ein gutes Schlagwort. Demut vor der Demokratie und nicht Eitelkeit aufgrund einer Parteizugehörigkeit! Ihr ganzer Artikel spiegelt ihr Gefangensein im Status quo.

Wenn „ein Zusammenschluss kluger Fachleute mit demselben Spezialinteresse“ noch keine Partei sein soll, ist dann eine Ansammlung von Juristen eine Partei oder ein Zusammenschluss von Karrieristen? Das ganze Konzept der Basisdemokratie scheint mir nicht so angelegt, als würden die Piraten irgendwann einmal „denen ähneln“! Wenn nach Bettina Gaus’ Meinung „jeder Regierungswechsel eine Protestwahl ist“, fehlt ihr offenbar die Fähigkeit, unsere ganze Parteiendemokratie mal mit Abstand, sozusagen „von außen“, zu sehen.

Wie erfrischend ist dagegen der Kommentar von Daniel Bax. Er beschreibt wichtige Statements der Piraten, die schon erarbeitet worden sind, er bringt das „utopische Element“ ins Spiel, das Vorausdenken, das Denken an und in die Zukunft, was viele unserer Politiker zugunsten des Denkens in die eigene Tasche (Diäten) aufgegeben zu haben scheinen. Bedingungsloses Grundeinkommen, Verabschiedung von der heuchlerischen Drogenpolitik, wirkliche Trennung von Staat und Kirche, effiziente Eindämmung der Belastung durch den Individualverkehr und natürlich direkte Demokratie!

Ich war 1968 erst 17, aber einiges kommt mir sehr bekannt vor, nur moderner. Ich bin mir sicher: Junge Wähler wachsen nach, die Ideen der Piraten sind gekommen, sie werden bleiben!

NORBERT VOSS, Berlin