Sächsische Schweiz,rechtes Paradies?

Nadel- und Blätterdächer überziehen die malerischen Berge im Südosten des Freistaats. Und darunter ein braunes Idyll? Eine Reise, um das rechte Image auf die Probe zu stellen

Aus der Sächsischen Schweiz Jeremias Tacke

Wenn der rechtsextreme Aktivist Martin Sellner und die Identitäre Bewegung mit überdimensionalen Deutschlandflaggen auf der weltbekannten Basteibrücke posieren, wenn Kinder in einem Grundschulhort in Pirna, dem Verwaltungssitz des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge (SOE), Hakenkreuze aus Bausteinen legen und zu einer zu trauriger Bekanntheit gekommenen Melodie rassistische Parolen singen, dann ist es nicht weit zum Klischee des rechten beziehungsweise rechtsextremen Ostens Deutschlands. Wer das bestätigt haben will, muss nicht lange suchen, allerdings: Die Realität stellt sich wie so oft komplexer dar.

Die S-Bahn braucht zwanzig Minuten von Dresden nach Pirna, hier in der Fußgängerpassage fällt zunächst auf, wie wenig auffällt: Zu Besuch in einer deutschen Kleinstadt, in ihrer Durchschnittlichkeit kaum zu überbieten. In der durchrenovierten Altstadt kleine Boutiquen, Restaurants und Cafés für die Tou­ris­t:in­nen in Funktionskleidung. In der Mitte des Marktplatzes das Rathaus, vor dem auf Wunsch des AfD-Oberbürgermeisters in diesem Jahr keine Regenbogenflagge wehte, weswegen das dann kurzerhand die Stadtkirche St. Marien gleich nebenan übernommen hat. Über all dem thront die heutige Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, in der die Nationalsozialisten Tausende Menschen mit psychischer Krankheit oder geistiger Behinderung ermordeten. In der Sächsischen Schweiz liegt, nicht nur geografisch betrachtet, alles nahe beieinander.

Toni Richter, Geschäftsführer des Tourismusverbands, schwärmt erwartungsgemäß von der einzigartigen Natur, aber auch von kulturellen Angeboten in und um den Nationalpark. Es herrscht Zukunftsoptimismus, die Be­su­che­r:in­nen­zah­len haben sich seit der Wende kontinuierlich entwickelt, Nachhaltigkeit wird großgeschrieben, Tou­ris­t:in­nen und Arbeitskräfte aus dem Ausland sollen in die Region geholt werden. Die letzten Wahlergebnisse im Landkreis SOE sind dagegen ernüchternd, die AfD bekam bei der EU-Wahl fast 40 Prozent, die rechtsextremen Freien Sachsen erhielten bei der Kreistagswahl fast 4 Prozent.

Wieder in der S-Bahn auf dem Weg tiefer hinein in das Elbsandsteingebirge, den Windungen des Elbtals folgend. Das rötliche Abendlicht lässt einen an die transzendente Stimmung von Caspar David Friedrichs „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ denken. In Dissonanz dazu die Berichte der beiden Jugendlichen Max und Lukas der Gruppe „SOE gegen rechts“. Ihre echten Namen wurden in diesem Text geändert. Sie erzählen von ihrem Aktivismus in Pirna und vom „Haus Montag“, einem Treffpunkt der lokalen Neonaziszene, das eben erst im Rahmen des Compact-Vereinsverbots durchsucht worden ist, von stadtbekannten Restaurants und Orten, von denen sich „links gelesene“ Personen lieber fernhalten, von Beleidigungen, Angriffen und Angstmache innerhalb und außerhalb der Schule.

Unter dem dichten Nadel- und Blätterdach der Fichten, Buchen und Birken ist davon erst mal wenig zu spüren. Hier herrscht eine friedliche, fast urzeitliche Stimmung. Umgefallene Baumstämme, hohe Gräser und Farne bilden ein undurchdringliches Dickicht. Ist der Aufstieg geschafft, bleibt der Blick über die hügelige Landschaft hängen an von Borkenkäfern zerfressenen Bäumen, Kletterern auf einem Gipfel, einem süßen Örtchen auf der Anhöhe gegenüber. Vielleicht lieber nicht die Wahlergebnisse googeln? Zu spät: Das süße Örtchen heißt Reinhardts­dorf-Schöna und die Partei Die Heimat, früher mal NPD, bekam bei der Gemeinderatswahl im Juni 22,9 Prozent. Ohne die Natur-Politik-Analogien überzustrapazieren, aber mit den Bäumen scheint hier die Demokratie unauffällig wegzusterben.

Der Abstieg ist steil, entgegenkommende Personen grüßen freundlich, es wird viel gescherzt. Die gute Laune spiegelt sich auch in Gesprächen mit Tou­ris­t:in­nen wider. Die meisten kennen den Ruf der Region als rechtsextreme Hochburg, meinen davon während ihres Aufenthalts aber wenig zu merken. Ein Wanderer meint, jeder solle wählen können, was er will, es wäre keine Tragödie, wenn die AfD regiere, dann werde sie halt wieder abgewählt, Hauptsache, das Grundgesetz gilt überall. Zwei junge Frauen, die für die Nationalparkverwaltung in der Umweltbildung arbeiten, erzählen von zerstörten Plakate demokratischer Parteien, dem Briefing ihres Arbeitgebers für den Umgang mit rechtsextremen Aussagen von Kindern und Jugendlichen sowie von der Präsenz rechtsextremer Codes und Symbole. Die beiden attestieren sich eine „Demokratiedepression“.

Unterwegs in Schmilka, einem weiteren süßen Örtchen. Eine Person, die anonym bleiben will, beschwert sich über die (vermutlich Journalist:innen), die immer schreiben, dass hier alle rechtsextrem sein, die einen belehren wollen, obwohl sie aus einer ganz anderen Lebensrealität kommen. Die Menschen auf den Dörfern hätten „zu kämpfen“, müssten weit zu ihren Jobs fahren und hätten „den Hals voll“. Das Vertrauen in die Parteien sei verloren, sie verspürten wenig Selbstwirksamkeit, wünschten sich Veränderung. Verständnisvoll ließe sich einwenden: Die Menschen im Landkreis SOE sind nicht die Einzigen, die sich Veränderung wünschen. Allerdings besteht zwischen diesem Wunsch und der Wahl der in Sachsen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften AfD kein Automatismus.

Eine Rezeptionistin wehrt sich gegen den Begriff „abgehängt“. Wie sie blicken viele positiv auf die Region

Der Betreiber des Kiosks „Zur alten Schule“, ein Zugezogener aus Berlin, bezeichnet sich selbst als „links“ und sei schon mal in eine Auseinandersetzung mit einem mittlerweile untergetauchten Rechtsextremisten geraten, weil dieser sich rassistisch gegenüber zwei Tou­ris­t:in­nenge äußert hatte. Trotzdem, meint der Betreiber, begegnen ihm offen menschenfeindliche Aussagen hier selten. Er meint, im Ort stehe die friedliche Koexistenz über der politischen Gesinnung. Vor seinem Laden sitzen Linke und Rechte bei Bockwurst und Bier zusammen, es läuft Musik und man kommt miteinander ins Gespräch. Was nach einem Juli-Zeh-Roman klingt, erscheint glaubhaft, auf eine Art naiv, macht hier aber trotzdem Hoffnung.

Auf dem Weg zur Fähre, von Postelwitz am Elbufer entlang in Richtung Bad Schandau. Wie überall verkünden hier Schilder: „Zimmer zu vermieten“, „Selbstgemachte Marmelade“ oder „Biergarten“. Wer am Verkaufsstand nach dem Rechtsextremismus in der Region fragt, kann als Antwort hasserfüllte Blicke bekommen. Doch der Tourismus boomt, die Menschen profitieren. Eine Rezeptionistin wehrt sich deswegen auch gegen die Bezeichnung „abgehängt“. Wie sie gibt es viele, die positiv auf die Region blicken, sie mitgestalten.

Trotzdem ist, wie Max und Lukas von „SOE gegen rechts“ betonen, Zusammenhalt und überregionale Unterstützung hier besonders wichtig. Sonst kann es passieren, wie in Berggießhügel im vergangenen Jahr, dass eine Demonstration der Freien Sachsen mit Tausenden Teil­neh­me­r:in­nen gegen eine geplante Unterkunft für Geflüchtete ungestört stattfinden kann. Die Gefahr rechter Hegemonie ist real. Geflüchtete werden in Berggießhügel nun übrigens nicht untergebracht.

Die Sonne scheint, die Tou­ris­t:in­nen­strö­me bewegen sich mit der Fähre über das kühlende Wasser der Elbe in Richtung der S-Bahn. Zurück in der Großstadt. In den Nachrichten und auf Social Media kursieren die ersten Videos des Aufmarschs von Rechts­ex­tre­mis­t:in­nen beim Christopher Street Day in Bautzen. In der Sächsischen Schweiz ist das von den Ge­sprächs­part­ne­r:in­nen bereits antizipiert worden, es überrascht nicht.

Jeremias (23), geboren und aufgewachsen in Dresden, studiert mittlerweile in Leipzig Politikwissenschaft und Anglistik. Er schreibt und veröffentlicht literarische und journalistische Texte.